: Nachts auf der Baustelle
Papierschmirgler und Unantastbare im eigenen Mikrokosmos: Carla Torgerson, Chris Eckman und die anderen Walkabouts zeigten im BKA-Zelt, dass sie den Seattle-Hype und die Querelen mit Virgin Records gut überstanden haben. Ebenfalls in Top-Form war die Singer/Songwriterin Mary Gauthier
Richtig gemütlich ist auch ein dreiviertelvolles BKA-Zelt nicht. Die Walkabouts aber haben in über zehn Jahren Bandgeschichte genügend Fans und Material angehäuft, um sich und den Zuhörern einen wohligen Abend zu bereiten.
Ein Treffen mit ihnen ist immer wie ein heimeliger Abend am Kamin. Kuschelrock – wie unlängst bei Element Of Crime – haben die Walkabouts dennoch nicht im Angebot. Dazu ist die Harmonie ihrer Songs, die teils gar süßliche Leichtigkeit, die auch bei dieser Tour von einer Geigerin unterstrichen wird, zu sehr so, als führe man nachts durch eine unbeleuchtete Autobahnbaustelle. Die Cassette mit der schönen Musik läuft noch, aber du liegst schon Hals über Kopf im Straßengraben.
Zunächst aber der Opening-Solo-Act. Die Singer-Songwriterin Mary Gauthier aus Baton Rouge, Louisiana. Eine recht handfeste Erscheinung, ein scheinbar echtes Riot-Girl, die ihre schlimmen Erfahrungen und ihre Suche nach Identität und „den eigenen Leuten“ vor allem gern motorisiert durchführte. Leider stahl sie dafür schon mit 15 zum ersten Mal das Auto ihrer Eltern. Die zeigten die Tochter bei der Polizei an. Den 16. Geburtstag verbrachte Mary in einer Erziehungsanstalt, zwei Jahre später feierte sie im Knast. Dann aber kriegte sie die Kurve (mit Führerschein) und eröffnete ein Restaurant in Boston – genug Stoff für eine Countrysängerin. Ihre Zuneigung zu Autos und Typen, die in der US-Provinz eher als Outcasts gelten, verarbeitete sie in dem Album „Drag Queens in Limousines“. Als jemand aus dem Publikum sie doch tatsächlich um einen bestimmten Song bittet, ist sie sichtlich gerührt. Die Walkabouts sind bezüglich Songwünschen schon weiter. Als zum Schluss des Konzerts ein Fan in der ersten Reihe gleich zwei Titel ruft, die er am liebsten „both“ hören möchte, antwortet Songschreiber, Gitarrist und Sänger Chris Eckman sichtlich genervt, er spiele keinen von beiden. Basta.
Immerhin hat jedes Bandmitglied einen Zettel auf dem Boden vor sich festgeklebt, auf dem die Songliste vermerkt ist. Wer gute Augen hat und bis 13 zählen kann, der weiß vorher schon, wann es Zeit wird, für Zugaben zu klatschen. Die dann wiederum zunächst aus drei Stücken bestehen werden.
Eckman und seine Freundin und Kollegin Carla Torgerson dominieren die Bühnenwelt der Walkabouts. Torgerson, eine schmale, relativ kleine Person in glänzend roter Hose, ist die Walkabouts-Stimme. Was auch immer das Geheimnis ihrer Stimmbänder ist, Carlas Sound hat was von abgeschliffenem, recht grobem Schmirgelpapier. Wenn es um Verlassenheit geht, um merkwürdige Männer aus Izmir oder Rom, denen frau lieber nicht über staubige Straßen und in siffige Motels folgen sollte – nein, nein, dann greift sie zu einer etwas feineren Korngröße. Schön bei den Walkabouts ist, dass man direkt auf der Kante der Bühne sitzen kann. Die Sicht ist dort vorn fast zu gut. Bei dem Song über die doofen Typen jedenfalls sieht man, wie die Schlagzeugerin Terri Moeller heftig mit dem noch relativ neuen Bassisten Joe Skyward flirtet.
Dass Moeller auch über die Ernsthaftigkeit der Bemühungen der Sängerin spöttisch lächelt, passt wiederum zu ihrer klasse Art, die Drums zu behauen. Und vielleicht auch zu der Meldung, dass sie zwischendurch die Band mal verlassen hatte. Sie wirkt wie eine junge Nachwuchsdrummerin, die unbeholfen, aber sehr energisch spielt. Moeller ist ab sofort meine Lieblingswalkabouterin. Dieses Agieren aus dem Hinterhalt hat was.
Die Walkabouts haben den Seattle-Hype und die Querelen mit Virgin Records überlebt. Nun wirken sie fast wie Unantastbare in ihrem eigenen Mikrokosmos.
ANDREAS BECKER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen