: Neues AKW in Finnland?
Regierung stimmt knapp für neues Atomkraftwerk. Ob es gebaut wird, ist trotzdem unklar – ob es gebraucht wird, noch mehr: Finnische Industrie könnte noch viel Strom sparen, meinen Kritiker
von REINHARD WOLFF
Die Regierung in Helsinki sagte am Donnerstag Ja zu einem Antrag der Stromindustrie auf Bau eines neuen Atomreaktors in Finnland. Neben den bereits bestehenden vier wäre es das fünfte AKW im Land. Ob der Meiler gebaut wird, ist aber noch unklar. Die Reaktoren im Land gingen 1977 bis 1980 ans Netz, ihre Genehmigungen stammen noch von Anfang der 70er-Jahre.
Die Zustimmung war ein knappes Mehrheits-Ja, das auf den Stimmen der MinisterInnen aus der konservativen Sammlungspartei und dem Großteil der Sozialdemokraten in der Fünf-Parteien-Koalition gründete – geführt vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen. Die grünen, linkssozialistischen und liberalen sowie eine Minderheit der sozialdemokratischen MinisterInnen in der „Regenbogenkoalition“ sagten Nein zum Bauantrag.
Endgültig entscheiden wird die Frage nun das Parlament, in welchem die Mehrheitsverhältnisse bislang noch nicht eindeutig sind. Hinter dem Bauantrag, der schon vor zwei Jahren gestellt, dessen Entscheidung in der Regierung aber zur Vermeidung einer Koalitionskrise mehrfach verschoben wurde, steht Finnlands zweitgrößter Stromproduzent „Teollisuuden Voima“ (TVO), an dem auch die auf dem deutschen Strommarkt aktive „Fortum“ mit 26 Prozent beteiligt ist. Es ist der zweite Anlauf für einen neuen Reaktor. Ein früherer Bauantrag war 1993 mit einer 107:90-Mehrheit vom Reichstag abgelehnt worden.
Warum Finnland die große europäische Ausnahme sein soll und in einen neuen Atomreaktor investieren müsse, begründet TVO mit dem hohen Energiebedarf der Papierindustrie. Finnland importiert derzeit zwischen 10 und 15 Prozent seines jährlichen Strombedarfs und stützt sich dabei vor allem auf russische Atomkraft, aber auch in geringerem Maße auf estländischen Ölschiefer und schwedische Wasserkraft als Quelle.
Mit der Verpflichtung des Kiotoabkommens zum Klimaschutz, im Jahr 2010 nicht mehr Klimagase freizusetzen als 1990, steht das Land schon jetzt im Konflikt: Bis 2000 war der tatsächliche Ausstoß um knapp 5 Prozent gestiegen. Auch dies ein Argument der Atomlobby für den Bau eines neuen Reaktors. Nach Berechnungen von Greenpeace sind die Kioto-Auflagen aber auch ohne ein neues AKW locker einzuhalten: Mit Hilfe erneuerbarer Energiequellen und durch effizienteres Stromsparen gerade in der insoweit technisch noch weit zurückhängenden Zellulose- und Papierindustrie.
Selbst wenn das Parlament einen Bau absegnen sollte, ist es fraglich, ob die ökonomischen Kalkulationen aufgehen und das Werk tatsächlich für geschätzte 2,5 Milliarden Euro errichtet wird. Technisch soll der fünfte Reaktor ein Leichtwasserreaktor mit einer Leistung von 1.500 MW werden und neben einem der bisherigen Atomstandorte gebaut werden – Lovisa an der Süd- oder Olkiluoto an der Westküste. Irgendwann zwischen 2008 und 2010 rechnet TVO mit einer Inbetriebnahme. Da im Frühjahr 2003 Parlamentswahlen anstehen, dürfte es für die nunmehr über den Bauantrag entscheidenden ParlamentarierInnen nicht uninteressant sein, was ihre WählerInnen von einem Neubau-Alleingang halten, während andere Länder gerade ihren Atomausstieg vorbereiten.
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