: Sorgen um Venus
Für die besten Tennis-Cracks kommen die Australian Open zu früh, oft sind Verletzungen die Folge der Terminhetze
MELBOURNE taz ■ Als sie aus dem Torbogen trat, der hinaus in die Rod Laver Arena führt, richteten sich bange Blicke auf ihr linkes Knie mit dem verräterischen, kleinen Klebeverband. Man machte sich Sorgen um Venus Williams. Jeder wusste, dass sie das Spiel in der Runde zuvor gegen die Amerikanerin Kristina Brandi nur mit Mühe überstanden hatte. Unmittelbar davor hatte sich eine Entzündung der Patella-Sehne bemerkbar gemacht, und die Schmerzen waren so groß, dass sie später sagte, wäre die Gegnerin eine der Gesetzten gewesen, sie wäre gar nicht erst angetreten. Danach wurde sie fast eine Stunde mit Ultraschall und Eis behandelt, am Tag wurde die Behandlung fortgesetzt, aber als sie Freitagmittag zurückkehrte, war nicht klar, wie es ihr ging und ob sie eine Chance haben würde.
Eine halbe Stunde lang sah es nicht danach aus, aber das lag vermutlich zu gleichen Teilen am Knie und an der Gegnerin Daniela Hantuchova, der spindeldürren Slowakin. Sie setzte Williams so sehr zu, dass die hinterher sagte, das Spiel habe ihr richtig Spaß gemacht – es sei eine Herausforderung gewesen. Größeres Lob aus ihrem Mund hört man selten, was natürlich auch damit zu tun hat, dass sie die Partie 3:6, 6:0, 6:4 gewann.
Venus Williams scherzt, ihr bester Freund dieser Tage sei das Eis – bei der Behandlung. Die besten Freunde vieler anderer Spieler sind die Physiotherapeuten der ATP, Bill Norris und Per Bastholt. Die sind von mittags bis spät auf den Plätzen unterwegs und hätten inzwischen schon eine kleine Prämie verdient. Fast kommt es einem vor, als habe Andre Agassi mit seiner Handgelenksverletzung das Unheil herauf beschworen; seitdem ist kein Tag ohne Verluste vergangen; Spieler, die noch nicht wieder fit sind (wie Lleyton Hewitt), die auf dem Platz stürzen und sich verletzen oder sich ohne Sturz verletzen (wie Andy Roddick oder Mary Pierce), die nicht in Form sind (wie Kuerten, Kafelnikow oder Grosjean).
Die Diskussionen, welchen Anteil der in diesem Jahr extrem langsame und wie in jedem Jahr extrem stumpfe Boden an den Verletzungen hat, machen nicht viel Sinn. „Wir hatten doch bisher nur einen Knöchel“, sagt Turnierdirektor Paul McNamee – will sagen verletzten Knöchel, eben jenen von Andy Roddick. Das ist in früheren Jahren schon anders gewesen.
Das größere Problem ist alt und bekannt, und seit Jahren heißt es, Änderung sei in Sicht. So schön es Mitte Januar in Melbourne ist – für die Spieler kommt das Turnier definitiv zu früh. Die Meisten haben vier bis sechs Wochen Pause hinter sich, und selbst wenn sie in dieser Zeit gut gearbeitet und die Ferien nicht ausschließlich am Pool oder mit Chips vor der Glotze verbracht haben, sind Körper und Geist oft noch nicht wieder bereit für die besonderen Anforderungen eines Grand-Slam-Turniers. „Das ist einfach eine andere Art von Stress, wenn du Fünf-Satz-Spiele bestehen musst nach zwei Monaten Pause“, sagt der Kroate Ivan Ljubicic, der zu den aufstrebenden jüngeren Leuten gehört. Für die Besten ist diese Pause ohnehin zu kurz. Keiner jener acht Spieler, die sich Mitte November 2001 für das Masters in Sydney qualifiziert hatten, ist in Melbourne noch dabei.
Die Geschichte wäre leicht zu entschärfen, fände das Turnier zwei bis drei Wochen später statt. Geredet wird darüber seit Jahren, aber der Internationale Tennis Verband (ITF) ist bisher stur bei dem alten Termin geblieben, genauso wie im Fall der zu kurzen Pause (zwei Wochen) zwischen den beiden nächsten Grand-Slam-Turnieren in Paris und Wimbledon. Wenn es noch eines Arguments bedurft hätte, dann wäre es das Spiel ohne fünf in den ersten Tagen der Australian Open 2002. Bis die zuende sind, wird man noch öfter auf Venus Williams’ Knie schauen und sich fragen, wie lange die Sehne hält. DORIS HENKEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen