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Im Penthouse nur zur Miete

Ab heute muss sich Winfried Schäfer, Trainer der Mannschaft von Kamerun, beim Afrika-Cup in Mali bewähren, wenn er seinen Traum wahr machen will, bei der WM gegen Deutschland zu spielen

von FRANK KETTERER

In dem Augenblick, in dem in Busan die alles entscheidende Loskugel geöffnet und das darin befindliche Zettelchen vor den Augen der Weltöffentlichkeit entfaltet wurde, muss der Fußballlehrer Winfried Schäfer die letzte und unumstößliche Gewissheit gewonnen haben, dass der Fußball es endlich wieder gut mit ihm meint. Es kann sich an diesem Tag im Dezember ja auch wirklich nur um eine ganz besonders nette Laune des Glücks gehandelt haben, die Kamerun, Schäfers neue Mannschaft, in die deutsche WM-Vorrundengruppe gezaubert hatte – und den Rotgemähnten endgültig zurück auf die große Bühne des runden Leders, oder, wie es die Süddeutsche Zeitung schrieb, direkt ins „Penthouse des Weltfußballs“.

Das ist allemal ein erstaunlich flotter Umzug für einen, der zuletzt, nur um im Bild zu bleiben, eher im Keller gehaust hatte, wo es so stockfinster war, dass man ihn draußen schon gar nicht mehr wahrnehmen wollte. Jedenfalls muss sich Schäfer so gefühlt haben in all der Zeit, in der er zu Hause in seiner schmucken Villa im badischen Ettlingen vor dem Telefon saß und darauf wartete, dass es klingelte und ihm endlich einer einen Job anböte.

So jedenfalls hat es der Fußballlehrer immer wieder erzählt – und deshalb hat er auch nicht lange überlegt, als ihm im letzten Sommer das Amt des Nationaltrainers von Kamerun angeboten wurde, sondern rasch zugegriffen und sich schon gleich im Anschluss feiern lassen als erster deutscher WM-Teilnehmer, lange noch bevor die deutsche Mannschaft das Fegefeuer der Relegation überlebt hatte. Schon da muss sich der „Wilde Winnie“, als der er einst in der Bundesliga firmierte, vorgekommen sein wie ein Günstling des Glücks, nun aber, im Scheinwerferlicht der WM-Auslosung von Busan und Seite an Seite mit Rudi Völler, dem deutschen Teamchef und Vorrundengegner, war der Wahnsinn endgültig nicht mehr zu toppen, auch wenn Schäfer zunächst anderes verlauten ließ. „Ich habe mich nicht auf Deutschland gefreut“, hatte er in einer ersten Stellungnahme noch ungewohnt wortkarg von sich gegeben.

Bei so viel Dusel kann es wohl selbst einem wie Schäfer kurzfristig die Sprache verschlagen, so richtig ernst dürfte er sein Statement zur Lage der Dinge ohnehin nicht gemeint haben. Ganz im Gegenteil: Es darf unterstellt werden, dass Schäfer, mit den Gesetzen der Branche bestens vertraut, sehr schnell über das enorme Werbepotenzial im Bilde war, das ihm das Los da zugespielt hatte. Und so ging er noch am Abend von Busan dazu über, Slogans in eigener Sache zu entwerfen und sie unter die Reporter zu streuen: „Meine Spieler in Kamerun“, sagte Schäfer da, „erinnern mich an die Kahns, Scholls und Nowotnys.“

Also wieder einmal das alte Lied vom Karlsruher SC, dem Klub aus dem Badischen, den er einst von der zweiten Liga bis ins Halbfinale des Uefa-Cups geführt hatte; also wieder einmal die ruhmreich ausgeschmückte Vergangenheit. Dass Schäfer am Ende seiner 13 Jahre im Badischen mit seinem Latein ziemlich am Ende war und entlassen werden musste, dass er danach zunächst beim VfB Stuttgart, dann auch noch bei TeBe Berlin ordentlich auf die Schnauze fiel – nein, davon kein Wort. An diesen Missgeschicken trugen ja auch stets andere Schuld; schlimm genug, dass Schäfer in der Folge dafür auch noch büßen musste, 15 unendlich lange Monate lang, zu Hause vorm Telefon.

Vorbei, vergessen. Der ehemalige Gladbacher ist ja endlich wieder wer, mehr sogar als je zuvor. „Kamerun“, sagt etwa Rudi Völler, „ist mit Abstand die beste afrikanische Mannschaft.“ Und Schäfer ihr Trainer, das sagt doch schon alles, auch wenn der 51-Jährige „nicht unbedingt erste Wahl war“, wie ausgerechnet das Branchenfachblatt kicker kleinlich anzumerken hatte, weil auch noch andere Trainergrößen aus Germany auf der Wunschliste standen, Berti Vogts und Uli Stielike zum Beispiel oder gar Horst Köppel. Aber das ist ganz bestimmt nicht so wesentlich, wichtig ist nur, dass es am Ende doch Schäfer wurde und Mohamed Iya, der Verbandspräsident, „eine farbenfrohe Stammestracht“ (Schäfer) getragen hat, als er „Winnie“ in seinem Land vorstellte, und die Spieler aus diesem Anlass aufgestanden sind „und mit der Hand auf dem Herzen die Nationalhymne gesungen“ haben. Das ist ganz nach Schäfers Geschmack, der als Trainer ja „von den Emotionen lebt“, mehr als von allem anderen.

Ob er aber die Emotionen dauerhaft schüren kann, wo er doch die Sprache der Spieler nicht spricht und per Dolmetscher mit ihnen kommunizieren muss? Ob die Mannschaft, zweifellos bestückt mit hervorragenden Fußballern, die allesamt in namhaften Vereinen Europas angestellt sind, überhaupt einen Heißmacher wie Schäfer braucht – oder nicht doch eher einen, der ihr zuvorderst ein taktisches Konzept zur Hand gibt und kühlen Kopf behält, wenn’s heiß zugeht im Spiel?

Die „Unbezähmbaren Löwen“ werden die Fußballer Kameruns genannt, was wild klingt und gefährlich, sich auf dem Platz aber bisweilen zum Nachteil auswächst – und in Chaos und Unordnung endet, in dem auch die besten Fußballer untergehen. Ob Schäfer dem entgegenwirken kann? Ob er wohl der Richtige ist für den großen WM-Job? Ob er überhaupt noch als Trainer dabei ist, wenn Kamerun im Sommer nach Japan fährt?

Fünf Übungsleiter haben die „Löwen“, in den letzten anderthalb Jahren gefressen, mit Haut und Haaren, das macht im Durchschnitt alle drei Monate einen. Bis zur WM sind es aber noch deren vier – und zu allem Überfluss liegt in dieser Zeit auch der Afrika-Cup, das wichtigste Fußballturnier des schwarzen Kontinents, in das Kamerun morgen gegen Kongo startet. „Wir dürfen den Afrika-Cup nicht unterschätzen“, warnt selbst der Trainer, alles andere als die Finalteilnahme wäre im Land des Titelverteidigers und Olympiasiegers eine Enttäuschung. „Die letzten vier sind Pflicht“, weiß Schäfer, durchaus erahnend, wie es ganz sicher käme, sollte er die eigene Vorgabe nicht erfüllen. Denn dann könnte ihn das Glück ebenso schnell wieder verlassen, wie es über ihn gekommen ist.

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