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Ein haltlos Schwärmender

■ „...und morgen wäre ich am liebsten Terrorist“: Eine Ausstellung zum 90. Todestag von Georg Heym

Manches Leben ist zu kurz, um Konturen zu gewinnen. Zu trauriger Berühmheit gelangte der Dichter Georg Heym, der 1912 im Alter von 24 Jahren beim Schlittschuhfahren auf der Havel ins Eis brach und ertrank. Erst ein Jahr zuvor war sein erster Lyrikband Der ewige Tag veröffentlicht worden, und noch in seinem Todesjahr erschienen nachgelassenen Gedichte unter dem Titel Umbra vitae, die seinen Ruhm in der deutschen Lyrik begründeten. Kaum genug Lebenszeit, um damit die Vitrinen der Ausstellung In dieser vor Wahnsinn knallenden Zeit in der Staats- und Universitätsbib-liothek zu bestücken.

Chronologisch stützt sich die Ausstellung auf die Kinder- und Schuljahre, das Studium, die ersten Auftritte im „Neopathetischen Cabaret“ und schließlich die ersten Veröffentlichungen. Vom Stammbaum bis zur Todesanzeige sind Tagebuchaufzeichnungen und Gedichtsskizzen zu sehen, Fotos von Freunden, Geliebten, Künstlern und Verlegern und die wenigen Aufnahmen von Georg Heym selbst.

Heym gehört zu den legendären Jahrgängen 1886 und folgende, diejenigen der großen deutschen Expressionisten. Seit seiner Schulzeit schrieb er sich fast täglich die Finger wund, füllte Arbeitsheft um Arbeitsheft (insgesamt sechs), klagte und litt, liebte und schwärmte, immer in innere Kämpfe verwickelt: „Manchmal haltlos schwärmend und den Wirklich-keitsmenschen verachtend, manchmal nur dieser, und ein schlechter dazu, und den Träumer bespöttelnd.“ (26.10.1906) Überdeutlich sieht da einer seiner eigenen Zerrissenheit in die Augen.

Die gezeigten Originaldokumente atmen eine ekstatische Produktivität, ein nach Klarheit strebendes Leben aus. Zwei tränenbeflossene Tagebuchseiten liegen aufgeschlagen: Georg Heym hin- und hergerissen in seiner Liebe zu Hedy Weißenfels. „Ich lasse Hedy an mir leiden und habe nicht den Mut, end-gültig zu brechen.“ (29.1.1909) – Eine Immatrikulationsurkunde von 1908: Kopien von Vorder- und Rückseiten hängen in der Ausstellung gegenüber. Auf der Rückseite hatte Heym 1910 Entwürfe zum Gedicht „Das Fieberspital II“ gekritzelt – wie er mehrfach offizielle Vordrucke, Deckblätter oder Schokoladenpapier als schnelle Notizzettel nutzte.

Um tief in die weitleuchtenden Bilder und den klaren Ausdruck von Heyms Sprache zu gelangen, muss man sich allerdings weit über die Handschriften in den Vitrinen beugen oder in der hervorragenden Monographie von Nina Schneider lesen. In der Malerei haben besonders van Gogh und Ferdinand Hodler starken Einfluss auf Heyms Lyrik gehabt, dessen Gedichte wiederum Ernst Ludwig Kirchner posthum illustrierte. Auf einem ausgestellten Berliner Stadtplan von 1905, in dem die Siegessäule noch vor dem Reichstag verzeichnet ist, lassen sich die wichtigsten Stationen von Heyms Leben in Berlin, wo er zwischenzeitlich immer wieder lebte, nachvollziehen.

Christian T. Schön

Mo–Fr 9–21, Sa 10–13 Uhr, Staats- und Universitätsbibliothek, bis 9. März; Katalog 18 Euro

Nina Schneider, Am Ufer des blauen Tags. Georg Heym. Sein Leben und Werk in Bildern und Selbstzeugnissen, Böckel-Verlag 2000, 223 S., 221 Abb., 48 Mark

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