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Vom Wahlmoderator zum Entertainer

Heute soll aus dem ARD-Hauptstadtstudiochef Ulrich Deppendorf der neue Fernsehdirektor des WDR werden

Zur besten Kaffeezeit des 11. September 2001 hatte der mediale Ausnahmezustand auch das Erste Deutsche Fernsehen erreicht. Ulrich Wickert moderierte aus Hamburg, und weil die Livebilder von CNN zunächst nur auf n-tv und RTL liefen, wurde verdächtig oft ins ARD-Hauptstadtstudio geschaltet.

Dessen Leiter Ulrich Deppendorf trug’s mit Fassung und berichtete getreu von den spärlich hereintröpfelnden Reaktionen der Berliner Politik. Und verzog auch keine Miene, als der leidlich konfuse Wickert mehrere dieser Schalten als „zu Ulrich Deppendorf nach Bonn“ ankündigte – und damit visionäre Kompetenz bewies. Denn Deppendorf kehrt schon bald zurück an den Rhein – nicht nach Bonn allerdings, sondern zum Westdeutschen Rundfunk nach Köln.

Heute wird Deppendorf vom WDR-Rundfunkrat zum neuen Fernsehdirektor der größten ARD-Anstalt gekürt. Die Wahl gilt als sicher, Gegenkandidaten gibt es nicht.

Die Rückkehr nach Köln – seine Karriere begann 1978 als WDR-Reporter – ist für Deppendorf ein zweischneidiges Schwert. Der Moderator des „Berichts aus Berlin“ ist Journalist durch und durch. War „Wahlmoderator“ der ARD bis 1999 und macht auch an der Spree eine respektable Figur. Berlin sei für ihn „aufregend“, verrät er auf der Website des Hauptstadtstudios. Köln könnte jetzt noch aufregender werden. Denn hier wartet niemand auf den Nachrichtenmann Deppendorf – sondern auf den neuen Fernsehdirektor als Entertainer.

Der WDR-Programmbereich Unterhaltung produzierte in den vergangenen Jahren mehr Pleiten, Pech und Pannen denn große Erfolge. Jüngstes Beispiel: das in seltener Eintracht bei Kritikern und Publikum durchgefallene ARD-Format „Made in Europe“ mit Désirée Nosbusch (siehe taz vom 16. 1.). Man habe eben noch keine Erfahrung mit diesem neuen Genre names „Funshow“, argumentierte der WDR als verantwortlicher Sender eher lahm, schon gar nicht auf dem neuen Sendeplatz am Montag abend. Der WDR-Mann Winfried Bonk, den man für die gesamte ARD als Unterhaltungskoordinator bemühte, scheiterte dagegen am Show-Stehauffrauchen Ulla Kock am Brink, deren letzter ARD-Versuch („Ich setz auf Dich“) schon beim Trockenschwimmen vor Testpublikum versagte. Bonk, der zuvor bereits die Zusammenarbeit mit Oliver Kalkofe („Kalkofes Humor ist zu speziell“) beendet hatte, überließ den Unterhaltungsschleudersitz dann auch lieber gleich ARD-Programmdirektor Günter Struve. Auch im regionalen Dritten findet sich – abgesehen von wenigen Highlights („Zimmer frei“) – bestenfalls Durchschnitt, auch wenn es momentan dank König Karneval vor guter Laune überschäumt.

Auf den vom WDR-Intendanten Fritz Pleitgen höchstpersönlich nominierten Deppendorf wartet jede Menge Arbeit – und offenbar auch schon erster Ärger: Wie die Funkkorrespondenz berichtet, sollen im Fall Deppendorf entgegen dem sonst üblichen Prozedere nicht die entsprechenden Programmabteilungen konsultiert worden sein. Für gute Unterhaltung ist also gesorgt. STG

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