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Italiens Behörden ziehen Notbremse gegen Smog

Hohe Schadstoffwerte in der Luft zwingen die Politik zum Handeln. Die setzt auf Fahrverbote. Doch gefragt ist eine andere Verkehrspolitik

ROM taz ■ Seit gestern ist halb Mailand notgedrungen zu Fuß unterwegs: Der Präsident der Region Lombardei, Roberto Formigoni, hat ein von Dienstag an dauerndes alternierendes Fahrverbot verhängt. Damit will er die deutlich über den Grenzwerten liegende Schadstoffbelastung in der Luft reduzieren.

An geraden Tag sind nur die Autos mit geraden, an ungeraden die mit ungeraden Kennzeichen unterwegs. Fahrzeuge ohne Kat haben ein komplettes Fahrverbot. Sollte das nichts nützen, kommt ab Freitag in der ganzen Lombardei der Verkehr vollständig zum Erliegen. Und damit nicht genug: Die Schüler werden zu Hause bleiben, und in allen öffentlichen Gebäuden sollte man besser im Mantel zur Arbeit kommen, denn trotz anhaltend kalten Wetters werden die Heizungen gedrosselt.

Das Wetter ist der vorgeblich Hauptschuldige daran, dass in ganz Norditalien die Kohlenmonoxyd- und Staubbelastung die zulässigen Grenzwerte gleich um ein Mehrfaches überschreitet. Seit drei Monaten ist kein anständiger Regenguss mehr niedergegangen, allenfalls ein Hauch von Nieselregen. So hat sich in der windstillen Inversionswetterlage eine Dreckglocke gebildet, die überall gut sichtbare Spuren hinterlässt: Ein dicker Staubfilm liegt auf Straßen, auf Bürgersteigen, auf Autos.

Doch mittlerweile scheint sich auch in immer mehr Behörden die Erkenntnis durchzusetzen, dass meteorologische Widrigkeiten zwar für das Austrocknen des Po, für das Fischsterben in vereisten Gewässern, für das Erfrieren von Obst und Gemüse auf den Feldern verantwortlich sind – nicht aber dafür, dass in der Poebene das Atmen nicht nur für Asthmatiker zum Problem geworden ist. Fahrverbote sind jetzt der Hit nicht nur in der Lombardei, sondern auch im Piemont mit seiner Metropole Turin, wo das wechselnde Fahrverbot ab heute gilt; und in der Emilia Romagna sollen die Autos in den Städten mit über 50.000 Einwohnern gleich bis Ende März jeden Sonntag in der Garage bleiben.

Denn der Straßenverkehr trägt nach Angaben des Umweltverbandes Legambiente mit 90 Prozent zur hohen Staub- und Kohlenmonoxydkonzentration in der Luft bei. Deshalb wohl erbauen Italiens TV-Nachrichtenredakteure ihr Publikum jetzt mit Berichten über Wasserstoff- und Elektromotoren, die einmal alle Probleme im übermotorisierten Land lösen sollen.

Doch die Aggregate von übermorgen werden kaum den Dreck dieses Winters in den Griff kriegen. Und sie werden kaum den Blick davon ablenken können, dass so gut wie alle italienischen Städte jedes Jahr gleich mehrfach die Grenzwerte überschreiten. Ärger droht – wie jetzt die Bürger ebenfalls erfahren – demnächst auch von der Europäischen Union: Die wird ab 2005 die Verletzung der Grenzwerte mit dem Entzug von Gemeinschaftszuwendungen sanktionieren. Höchste Zeit für Italien also, nicht nur mit eiligst beschlossenen Notstandsmaßnahmen auf die Folgen einer jahrzehntelang verfehlten Verkehrspolitik zu reagieren. Einen Vorschlag steuerte Gesundheitsminister Girolamo Sirchia bei: In den chronisch verstopften Großstadtzentren solle ein komplettes Parkverbot verhängt werden.

Bis es so weit ist, gibt es erst mal andere Tipps. Seiner eigenen Tochter jedenfalls empfahl Experte Sirchia, sie solle sich samt Kleinkind aus Mailand davonmachen und stattdessen an der ligurischen Küste gesunde Luft atmen. MICHAEL BRAUN

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