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Krisensitzung des Bodenpersonals

Geteilte Hoffnung, getrenntes Gebet: Auf Einladung des Papstes treffen sich heute in Assisi Vertreter aller Religionen zur Fürbitte für den Weltfrieden

von PHILIPP GESSLER

Konservative Kurienkardinäle kochten: Nicht genug, dass der römische Oberrabbiner Elio Toaff vor Papst Johannes Paul II. – als kenne der den Spruch nicht – das berühmte Wort des Propheten Micha vortrug: von den Schwertern, die zu Pflugscharen geschmiedet würden. Schwer erträglich auch, dass Muslime neben dem Papst Koransuren zitierten. Dann trat gar der Indianerhäuptling mit seinem prächtigen Federbusch vor und forderte das Oberhaupt von einer Milliarde katholischen Christen auf, mit ihm die Friedenspfeife zu rauchen. Und schließlich erfrechte sich auch noch ein 90-jähriger Fetischpriester vom Heiligen Wald am Togosee, für den „Frieden im Vatikan“ zu beten! Das Friedensgebet, zu dem Karol Wojtyła für den 27. Oktober 1986 in die umbrische Stadt Assisi etwa 150 Vertreter von rund einem Dutzend Religionen aus der ganzen Welt einlud, war für orthodoxe Oberhirten der „allein selig machenden Kirche“ so etwas wie der GAU: Der „Friedensgipfel“ im Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war ein Hauptgrund für den einige Zeit später von den Anhängern des erzkonservativen französischen Bischofs Marcel Lefebvre vollzogenen Bruch mit der katholischen Kirche. Die erste Spaltung des Katholizismus seit hundert Jahren.

Doch der alte Mann auf dem Stuhl Petri in Rom will es wieder wissen: Für heute hat er über 200 Vertreter von elf Religionen erneut zu einem Friedensgebet in die Stadt des heiligen Franziskus gebeten. Auf die Idee kam der Papst nach den Anschlägen vom 11. September vergangenen Jahres in den USA. In seiner Generalaudienz am Folgetag sprach er von einem „dunklen Tag in der Geschichte der Menschheit“. Wie eine tibetische Gebetsmühle kam er in den folgenden Wochen immer wieder darauf zu sprechen: „Im Namen Gottes wiederhole ich noch einmal: Gewalt ist für alle Menschen nur ein Weg des Todes und der Zerstörung, der die Heiligkeit Gottes und die Würde des Menschen entehrt.“ Die Bombenangriffe der USA in Afghanistan verurteilte er im Oktober spontan und überdeutlich – ebenso wie er 1991 den Golfkrieg gegen den Irak und die Sanktionen gegen das irakische Volk kritisierte.

Der polnische Papst fährt innerkirchlich einen meist reaktionären Kurs, wie jüngst wieder bei der mehr als zweifelhaften Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá zu sehen – der Weltfrieden aber hat in ihm einen seiner progressivsten Verfechter. „Kein Friede ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Vergebung“ ist, einem Wort Jesajas folgend (Jes. 32,17), ein Credo des Pontifex maximus. Weshalb er mittlerweile zu den schärfsten Kapitalismuskritikern der internationalen Bühne gehört und mit seinen Brandreden etwa gegen Wucherzinsen Globalisierungskritiker entzückt.

Und da die Terroristen des 11. September den Islam für ihre Schandtaten in Anspruch nahmen, mahnte er Anfang dieses Jahres: „Man tötet nicht im Namen Gottes.“ Kein Verantwortlicher der Religionen dürfe dem Terrorismus gegebenüber Nachsicht üben – „und noch weniger kann er ihn predigen“. Das heutige Gebet der Geistlichen aus aller Welt in Assisi sieht der Papst deshalb als Chance, die Religionen der Welt öffentlich auf ein Engagement für den Frieden einzuschwören. Prophetisch, vielleicht sogar ein wenig naiv wird er ausrufen: „Nie mehr Gewalt! Nie mehr Krieg! Nie mehr Terrorismus! Mögen alle Religionen der Welt in Gottes Namen Gerechtigkeit und Frieden, Vergebung, Leben und Liebe bringen.“

Mullahs und buddhistische Mönche, Sikhs mit Turbanen und Animisten in wallendem Tuch, indische Gurus, Rabbiner und orthodoxe Patriarchen, Shinto-Priester und sogar Anhänger der Zarathustra-Religion werden heute im Konvent der Franziskaner in Assisi beten, zusammen essen, sich geschwisterlich umarmen und ein Friedenslicht austauschen – aber: Zusammen beten werden sie nicht. Anders als bei „Assisi I“ 1986, als die Vertreter der Weltreligionen sich zumindest voreinander ihre Gebete für den Frieden vortrugen, beten heute die Geistlichen der Religionen in eigenen Räumen jeweils für sich. Zwar werden die Vertreter von neun Glaubensbekenntnissen stellvertretend für die anderen in den Weltsprachen einen gemeinsamen Text der Selbstverpflichtung der Religionen für den Weltfrieden vortragen. Dass es aber kein gemeinsames Gebet gibt, ist wohl kalkuliert.

Schon beim Friedensgebet von 1986 wurde dem Papst vorgeworfen, er fördere mit der schönen Geste in Assisi den Synkretismus, also einem Mischglauben, der die religiösen Auffassungen nur scheinbar friedlich vereine. Johannes Paul II. hat seitdem mit seinen Besuchen in einer Synagoge und im letzten Jahr auch in einer Moschee gerade konservativen Bewahrern eines orthodoxen Katholizismus immer wieder neue Argumente für diese Kritik geliefert. In der Kurie gab es deshalb schon im Vorfeld hinter vorgehaltener Hand massive Kritik am erneuten Friedensgipfel. Gegenwind bekam der Stellvertreter Christi auf Erden auch von amerikanischen Bischöfen. Die können es ihren Gemeinden nur schwer vermitteln, dass sich ihr oberster Glaubenshüter mit über 30 muslimischen Geistlichen (auch aus dem Iran) versammelt – zumal der Papst immer noch gegen die US-Politik in Afghanistan protestiert und auch den „Krieg gegen den Terror“ in der Form der Vergeltung gegen angebliche Schurkenstaaten verurteilt. Kritisch beäugt wird das religiöse Großereignis – übrigens weltweit live im Fernsehen übertragen – zugleich von den katholischen Hardlinern, denen die ökumenische Affinität des Papstes zu weit geht: Immerhin ist es dem vor etwa einem Jahr gekürten Kurienkardinal Walter Kasper als Hauptorganisator des Treffens gelungen, Vertreter von 18 Kirchen des Ostens in Assisi zu versammeln (1986 waren es nur 13 Ostkirche). Auch von den 14 eingeladenen protestantischen Gemeinschaften und Dachverbänden sagten dem Ökumene-Beauftragten Kasper als Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates 13 zu. Ein besonderer Coup ist die Teilnahme des Bischofs Innokentij, den der Moskauer Patriarch Alexij II. entsandt hat – eine Versöhnungsgeste in Richtung Vatikan, der mit der russisch-orthodoxen Kirche in den vergangenen Monaten in argem Clinch lag. Mit den Christen wird der Papst gemeinsam beten.

Umso häufiger betonen sowohl Kasper wie Wojtyła, dass das Gebetstreffen die Unterschiede zwischen den Konfessionen und Religionen nicht verwischen solle: „Es gibt in Assisi keinen Synkretismus“, betont Kasper, „ja es darf nicht einmal den Anschein von Synkretismus geben!“ So vehement sind die Äußerungen, dass nahe liegt: Weder der polnische Bischof von Rom noch sein deutscher Kardinal will den konservativen Kräften in der Kurie wie etwa dem Chef der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, Munition für ihre Angriffe gegen weitere Fortschritte in der Ökumene und beim interreligiösen Dialog liefern. Hier geht es auch um eine Richtungsentscheidung für die Zeit nach Johannes Paul II., dessen Pontifikat sich sichtbar dem Ende zuneigt.

Was aber, so bliebe am Ende zu fragen, soll der heutige Gebetsgipfel außer seiner möglichen Wirkung bei höheren Mächten konkret bringen? Als der Papst 1986 in Assisi mit den Religionsvertretern betete, rief er für diesen Tag zu einer „Waffenruhe Gottes“ auf. Und tatsächlich hatte das „Treffen der waffenlosen Propheten“, wie Wojtyła die Zusammenkunft damals nannte, auch hier auf Erden damals einen kleinen, dafür ganz handgreiflichen Erfolg: Warlords und Guerilleros in Sri Lanka und Nordirland, in Afrika und Lateinamerika ließen die Gewehre für diesen einen Tag schweigen. Dass heute in ähnlicher Weise der Friede wenigstens für 24 Stunden obsiegen könnte, ist nicht zu erwarten – auch die Gewalt im Heiligen Land, das ein Schwerpunkt der Gebete sein soll, wird wohl nicht ruhen. Immerhin haben die Imame der größten islamischen Bruderschaft Senegals angekündigt, heute auch für den Frieden zu beten. Im von Religionskonflikt zerrissenen Indonesien wollen nach dem Vorbild Assisi islamische und christliche Geistliche ebenfalls ein Gebetstreffen organisieren, um den Dialog der Religionen zu fördern.

In dem „Friedensgebet“ des heiligen Franziskus bittet dieser: „Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens, dass ich Liebe bringe, wo man sich hasst, dass ich Versöhnung bringe, wo man sich kränkt, dass ich Einigkeit bringe, wo Zwietracht ist.“ Vielleicht ist das ja Inspiration für die in seiner Heimatstadt versammelten Religionsvertreter, ihre eigenen Glaubensbrüder und -schwestern zumindest zur Achtung der anderen Religionen anzuhalten, wofür Franziskus ebenfalls ein gutes Vorbild wäre: Der hatte versucht, während eines Kreuzzugs ein Gespräch mit einem muslimischen Heerführer über die letzten Dinge zu führen. Bekehren ließ sich der Heide zwar nicht. Aber seinen Respekt soll er dem umbrischen Bettelmönch ausgesprochen haben.

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