: Krach um Autonomie der Vojvodina
Ein Vorstoß zur Änderung des Status der serbischen Provinz löst im Belgrader Parlament hitzige Debatten aus. Eine Mehrheit für die neuen Gesetze hängt am seidenen Faden und könnte Premierminister Zoran Djindjić teuer zu stehen kommen
aus Belgrad ANDREJ IVANJI
Heftige, fast vergessenen national-patriotische Tiraden und einen „dramatischen Ausbruch von Emotionen“ , wie Serbiens Justizminister Vladan Batić erklärte, löste im serbischen Parlament ein Paket von 24 Gesetzen aus, das als Grundlage der vor einem Jahrzehnt von Slobodan Milošević aufgelösten Autonomie der Vojvodina dienen soll. Nach einer Zitterpartie wurde der vom Parlament der Vojvodina vorgelegte Entwurf am Mittwoch mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen in erster Lesung angenommen.
Nach wie vor bleibt jedoch die Verabschiedung dieser „dezentralisierenden Gesetze“ fragwürdig: über einhundert Amendments und Ergänzungen werden in den nächsten Tagen im Parlament zur Debatte stehen. Abgeordnete der Vojvodina haben sich jedoch bereits gegen jede Änderungen der von ihnen vorgelegten Gesetze ausgesprochen und so könnte die knappe Mehrheit nur allzuleicht umkippen. „Wir wissen noch nicht, ob wir endgültig für diese Gesetze stimmen werden“, verkündete Velimir Ilić, Vorsitzender des Bündnis „Neues Serbien“ mit dem Zentrum in der Provinzstadt Caćak. Das Bündnis ist mit acht Abgeordneten im serbischen Parlament das Zünglein an der Waage. Mehr als einmal musste Serbiens Premier Zoran Djindjić die Unterstützung des unberechenbaren Ilić im Parlament teuer bezahlen, zum Beispiel mit der Genehmigung für den Bau einer Zigarettenfabrik in Cacak.
Der von Djindjić angeführte Reformflügel der regierenden Koalition DOS setzt sich für die Autonomie der Vojvodina ein und unterstützt Schritte, die zur endgültigen Dezentralisierung der Provinz führen sollen. Bundespräsident Vojislav Kostunica und seine nationalkonservative „Demokratische Partei Serbiens“ sowie die früheren Anhänger von Slobodan Milošević warnen jedoch vor einer „Sezession“ und kritisieren das Gesetzespaket.
Mit diesen Gesetzen würden die „Serben in der Vojvodina Serbien verlieren“, verkündete feierlich die ultranationalistische „Radikale Partei Serbiens“ und warnte vor einem „Dominoeffekt“, der zur Sezession von anderen Gebieten Serbiens führen könnte, wie des Sandschak, der mehrheitlich von Muslimen bewohnt ist. Die vom ermordeten Freischärlerkommandanten Zeljko Raznatović Arkan gegründete „Partei der serbischen Einigkeit“ verglich den Parlamentspräsidenten der Vojvodina, Nenad Canak, mit dem zukünftigen Präsidenten der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, weil beide die Loslösung von Serbien anstrebten.
Canak seinerseits bezeichnete die knappe Mehrheit im serbischen Parlament für die „harmlosen“ dezentralisierenden Gesetze als ein Zeichen dafür, dass in Serbien eine „Entnazifizierung“ immer noch nicht stattgefunden habe. Wäre Serbien ein Rechtsstaat, donnerte Canak, würden die meisten Abgeordneten die gegen diese Gesetze gestimmt haben „wegen Verbrechen an der Menschlichkeit hinter Schloss und Riegel sitzen“. Auch der Vorsitzende des „Bundes der Ungarn“, Jozsef Kasza, bezeichnete die hitzige Stimmung im serbischen Parlament als „eine Tendenz, die volle Autonomie der Vojvodina nicht zu gestatten“.
In Serbien gilt immer noch die Verfassung der Milošević-Ära, die vor zehn Jahren die Autonomie der Vojvodina und des Kosovo aufgehoben hatte. Für eine neue Verfassung ist eine ZweiDrittelmehrheit im serbischen Parlament notwendig, die jedoch durch die erbitterte Konfrontation zwischen Djindjić und Kostunica unmöglich scheint. Bei diesem Kräfteverhältnis gewinnt die fast totgesagte Gefolgschaft von Milosević immer mehr an Bedeutung. Canak kündigte einen „kompromisslosen“ Kampf für die Autonomie der Vojvodina an, die über 70 Prozent der Bürger der Provinz unterstützen.
meinung Seite 12
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