: Preußens Ranz und Gloria
Der Kurfürstendamm, so behauptet man in Westberlin, habe den Wettlauf mit der City-Ost gewonnen. Doch die taz weiß es besser. Dreizehn Jahre nach dem Fall der Mauer hat die Warschauer Straße den Ku‘damm an Dynamik und Vitalität überholt
Ohne die Russen wäre es noch schlimmer. Dann wären die Designerläden noch leerer, dann gäbe es keine Koffer voller Dollarbündel, die über den Ladentisch wandern, dann wären die die Nobelboutiquen und Schuhgeschäfte am mittleren Kurfürstendamm nur noch Platzhalter. Trotziges Bedeuteln, wo es doch nichts mehr zu deuteln gibt: Mit dem Jahr 1989 schied der Kurfürstendamm endgültig dahin, nur die Westberliner glauben noch an die Wiederauferstehung.
Wie wär‘s mit einem Blick hinter die Kulissen? Zum Beispiel am neuen Ku‘damm-Eck. Das protzt und klotzt und macht auf megamäßig, dass man fast schon dem Hassemer-Sprech von New Berlin glauben möchte. Nur reingucken darf niemand, drinnen hängt nämlich das ganze Elend an den Konfektionsstangen von C&A: Anzugshosen für 29 Euro, Jacketts sogar schon ab 15 Euro. Der Ku‘damm ist am Ende, und das sogar in seiner neuen Mitte.
Überhaupt, die Kaufhäuser, was ist aus ihnen geworden! Im Wertheim weiß man plötzlich nicht mehr, ob man bei Hertie ist oder schon bei Woolworth. Und selbst am KaDeWe findet der Winterschlussverkauf – ähnlich wie der 129er – Anschluss an Kreuzberg. „Ruinieren Sie uns“, steht da weithin sichtbar. Nur gut, dass noch keiner die ersten Buchstaben vertauscht hat.
Der Kurfürstendamm und der Tauentzien, wie hat man sie besungen. Doch der Glanz ist ab, da hilft nicht mal mehr das beste Lifting. Nicht mal bei der Firma Long-Time-Liner an der Ecke Fasanenstraße. Immerhin, man leistet sich noch eine Vitrine, zwar etwas schäbig und leicht angegammelt, aber gut. Nur leider, die Vitrine gleicht mit all den Gesichtern, die da um Hilfe und Skalpell schreien, eher einem Leichenschauhaus. Im Außenlautsprecher blecht eine Frauenstimme: „Ich bin jemand, der Makel im Gesicht anderer sofort sieht.“ Dagegen soll „Conture Make Up“ helfen. Wie zum Beweis steht an der Schaufensterscheibe: „London, Paris, New York, Tokyo.“
Es ist ein Jammer, wohin man blickt. Gegenüber dem neuen Ku‘damm-Eck – ein Leihhaus. Preußens Glanz und Gloria wartet auf den Rücktausch, wer‘s glaubt, wird selig. Da hilft auch keine Nike-Town und kein Levi.Com an der Rankestraße. Die Jugend steht nicht auf Ku‘damm, sondern auf Alex.
Und so geht der Ku‘damm samt dem Tauentzien auch an seiner östlichen Seite zu Ende, wie er in der Mitte begann. Am Rande des Marktstände am Wittenbergplatz, die auch schon bessere Tage gesehen haben, sitzen die Bettler, einer hat ein Pappschild, auf dem steht: „Für‘s Essen bitte.“ Im Hut sind nur wenige Euromünzen. Nicht nur die Kaufkraft lässt im Berliner Westen nach, sondern auch das Spendenfreudigkeit.
Nicht einmal die Touristen finden den Glanz vergangener Tage. Keine Prachtbände, keine Erinnerungen an das Romanische Café, an Charlottengrad und Wladimir Nabokov: Bei Hugendubel im Erdgeschoss gibt‘s nur Schnäppchen und Sonderangebote. Eins davon heißt „Ahoi Berlin“ und kostet neun Euro neunundneunzig. Auf dem Titel prangt ein Foto der Oberbaumbrücke. Dort beginn die Warschauer Straße, die neue Berliner Einkaufsmeile. UWE RADA
Pech für Pizza Hut. An der verschlossenen Ladentür Warschauer Ecke Kopernikusstraße vermeldet der ehemalige Mieter: „Leider haben wir diesen Standort geschlossen.“ Späte Reue. Denn die Warschauer Straße boomt. Was Stadtplaner und Experten des Berliner Einzelhandels bereits seit Jahren prophezeien, wird nun langsam Realität.
Immer mehr Berlinerinnen und Berliner erkennen die Vorzüge dieses Friedrichshainer Boulevards zwischen Frankfurter Tor und Oberbaumbrücke. Allen anderen bietet Optiker Kramer den „Sehtest sofort!“ – laden doch gerade die landschaftsgärtnerischen Veränderungen des von Platanen gesäumten Mittelstreifens zum Flanieren: Neue Büsche, neuer Rasen, und auf jeden Papierkorb folgt eine Bank. In die Begrenzungssteine links und rechts des freundlich gelben Sandweges ließen die Architekten alle vier Meter kleine orange leuchtende Strahler montieren.
Allerdings kann selbst die schönste Landebahn nur schmückendes Beiwerk bleiben, lockt doch vor allem die attraktive Ladenmischung von „working dress“ bis „air algerie“die konsum- und erlebnishungrige Kundschaft. So rollt im russischen Lebensmittelladen „Druschba“ der Rubel bald ganz so, wie in den vormals edlen Boutiquen der Fasanenstraße.
Zwei Restpostenmärkte versuchen offenbar noch vergebens Kundschaft ins Geschäft zu locken. So droht der erste bereits: „Wir schließen.“ Es wird teuer auf dem östlichen Boulevard. Und wenn die Schaufenster ehemaliger Geschäfte langsam hinter einer mehrlagigen Schicht aus Dia-Show-Plakaten verschwinden, machen sich auch die ersten Schattenseiten dieser Marktbereinigung bemerkbar.
Über zu wenig Kundschaft mag sich die Verkäuferin in „Paules Leckerladen – Tierbedarf“ nicht beschweren. „Wo es viel zu kaufen gibt, gibt es viele Einkäufer“, sagt sie. Und die können die Shopping-Meile dank der exzellenten Anbindung mit sämtlichen Spielarten des öffentlichen Personennahverkehrs erreichen. Ein Grundstein des Erfolges.
Erst vor zwei Wochen eröffnete mit „artmaxx“ bereits der zweite Künstlerbedarf auf der Warschauer Straße. Der Geschäftsführer möchte seinen Namen lieber nicht verraten – er wohnt am Ku‘damm.
Der Charme der größtenteils venezianisch verwitterten Fassaden zog in den vergangenen Jahren viele Künstler und Ateliers in die Gegend. Ein Sog, dem sich auch der Fachhochschulfachbereich Gestaltung nicht entziehen konnte.
Trotz aller Prosperität: Prunk und Protz sucht man auf diesem Boulevard vergebens. Man bleibt bescheiden. Die einzige Prominente der Straße, Iris Berben, hustet lächelnd aus der Auslage der Warschauer Apotheke. Doch wenn Universal erst von Hamburg in den umgebauten Speicher an der Oberbaumbrücke zieht, wird auch der Promifaktor steigen.
Sie werden sich gerne zeigen, in der ganz neuen Mitte. Es wird sich einiges verschieben. Die Filiale der Berliner Volksbank leistet den Anrainern schon jetzt Beihilfe zu Expansion und feindlicher Übernahme: „Jetzt kaufen! Ein Stück Neues Kranzler Eck für Sie.“ JAN ROSENKRANZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen