: „Ruhe ist hier ein Thema geworden“
Die Stadt Hattersheim liegt mitten im Rhein-Main-Ballungsgebiet. Dort gibt es die erste Ruhebeauftragte Deutschlands. Lärmquellen werden bei den Ämtern nicht mehr separat, sondern gebündelt betrachtet. Ruhe ist auch Gesundheitsvorsorge
Seit einem Jahr ist Joy Hensel (32) Ruhebeauftragte der Stadt Hattersheim. Die Anwältin kennt sich mit Lärm und Ruhe in juristischer Hinsicht bestens aus, und inzwischen weiß sie auch viel über physikalische Berechnungen, technische Werte und akustische Feinheiten. Doch entscheidend ist für Joy Hensel auch das subjektive Empfinden Lärmgeplagter.
taz: Sie sind die erste Ruhebeauftragte in Deutschland. Wie kam es dazu?
Joy Hensel: Die Stadt Hattersheim am Main ist von der geplanten Erweiterung des Frankfurter Flughafens unmittelbar betroffen. Gegen die ohnehin ständig zunehmende Verlärmung musste also etwas getan werden. Dazu gehört, dass Lärmquellen beim jeweils zuständigen Amt nicht mehr nur separat, sondern gebündelt betrachtet werden. Wir wollten dem Lärm etwas entgegensetzen: Ruhe ist auch Gesundheitsvorsorge.
Wie schützen Sie die Ruhe?
Zunächst einmal geht es um Lärmminderungsmaßnahmen in der Gemeinde. Bürger, die ein Problem mit Lärmemissionen haben, können mich ansprechen. Manchmal ist der einzelne Nachbar ja schon so isoliert, dass er sich gar nicht traut, vom anderen Ruhe einzufordern. Auch die Zuständigkeiten in der Verwaltung sind unterschiedlich.
Oft hilft es schon, einfach mal den Ansprechpartner zu nennen oder Sachen auf dem Dienstweg weiterzuleiten. Ich vermittle einen Sachverständigen oder kümmere mich darum, dass sich auch städtische Mitarbeiter an die Ruhezeiten halten – also nicht in der Mittagszeit den Rasen mähen oder Laub saugen.
Für all diese Belange gibt es regelmäßige Bürgersprechstunden. Die Menschen können mit mir anders reden, weil ich nicht Teil der offiziellen Verwaltung bin. Es geht aber auch um die Vertretung der Gemeinde nach außen. Es geht darum, den Bürgern Erholungsräume zu sichern. Kleine Freiflächen in der Nähe zu den Wohnorten zu schützen gehört genauso dazu wie die Auseinandersetzung mit dem Rhein-Main-Flughafen. Das lässt sich oft nicht auf kommunaler Ebene erreichen, da gibt es andere Zuständigkeiten, da bedarf es der Zusammenarbeit aller betroffenen Gemeinden.
Wer kommt zu Ihnen?
Eher ältere Menschen. Sie reagieren empfindlicher auf Lärm und sind ihm meist ausgeliefert.
Oft ist ein Mensch jahrelang in der Lage, Lärm und unangenehme Geräusche in seiner Umgebung zu ertragen. Und eines Tages bricht dann sein Immunsystem infolge des lärmbedingten Dauerstresses zusammen. Verwaltungstypisch ist dann die Aussage: „Aber das hat ihn doch in den ganzen letzten Jahren nicht gestört.“ Und genau dann ist es Zeit – spätestens dann –, etwas zu unternehmen. Denn der Eindruck, man könne sich an Lärm – etwa laute Straßen – gewöhnen, täuscht.
Was haben Sie bisher erreicht?
Die Kommune bemüht sich jetzt, das Mögliche auch zu tun. Man geht eher auf die Wünsche der Bürger ein, so wird in Wohnstraßen teilweise Flüsterasphalt gelegt. Ich konnte einigen Beschwerden abhelfen, die zunächst aussichtslos erschienen. Hinzu kommen Veranstaltungen, in denen die Bürger über die Gesundheitsgefahren durch Lärm aufgeklärt werden, wie zum Beispiel das erhöhte Risiko einer Herz-Kreislauf-Krankheit zu erleiden. Ruhe ist ein Thema geworden.
Was bedeutet Ruhe für Sie und warum ist sie so wichtig?
Ruhe ist für mich ein angenehmer Zustand in angenehmer Umgebung, die frei ist von lästigen Geräuschen, Alltagsstress und störenden Faktoren. Ruhe ist wichtig für die Erhaltung der Gesundheit. Die mit der steigenden Verlärmung einhergehenden Gesundheitsgefahren werden leider immer noch unterschätzt.
INTERVIEW: KATHARINA JABRANE
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