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Erster Auftritt des Sparers

Der neue Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) bastelt am ersten Doppelhaushalt für Berlin. Dabei sind für ihn auch die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag der rot-roten Regierung nicht unantastbar

von STEFAN ALBERTI

Der neue Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat offenbar keine Lust, sich seine Haushaltsführung komplett vom rot-roten Koalitionsvertrag vorschreiben zu lassen. Bei der Vorstellung des Zeitplans für den ersten auf zwei Jahre angelegten Doppelhaushalt schloss er gestern nicht aus, dass der Haushalt von den von der Koalition festgelegten Zahlen abweicht. Sarrazin sprach im Roten Rathaus von einem „gewissen Überpüfungsbedarf“.

Nach Vorstellungen des Finanzsenators soll der Senat am 5. Februar die Eckwerte der künftigen Zwei-Jahres-Plans festlegen, die grobe Linie der Einnahmen und Ausgaben, am 19. März soll die Senatsrunde um den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die detaillierte Haushaltsplanung beschließen. Nach den Osterferien soll sich nach Sarrazins Zeitplan das Abgeordnetenhaus mit den Zahlen befassen und den Haushalt am 27. Juni beschließen. Sarrazin kündigte aber an, dass schon in der nächsten Woche wesentliche politische Entscheidungen zum Doppelhaushalt fallen sollen.

Von den Kürzungen soll auch der Bereich Bildung nicht ausgenommen sein. „Die rein mathematische Wahrheit des Haushalts bedeutet, dass man keinen Bereich wird auslassen können“, sagte Sarrazin. Auf seinen Eindruck zur Finanzlage angesprochen, antwortete Sarrazin mit einem Vergleich: Wenn ein Unternehmen gute Zahlen vorlege, sei davon auszugehen, dass es ihm noch besser gehe; seien die Zahlen schlecht, dann sei die Lage tatsächlich noch schlechter. „Und das ist ähnlich bei öffentlichen Haushalten.“

Die Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus hatten der rot-roten Koalition zuvor vorgeworfen, sie verdecke und verschleiere. Der Doppelhaushalt diene allein dem Ziel, „die Grausamkeiten der Sparpolitik vor der Bundestagswahl nicht auf den Tisch legen zu müssen“, so der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jochen Esser. SPD und PDS könnten nicht erklären, wo eine angestrebte Sparsumme von 600 Millionen Euro herkommen solle.

Sarrazin muss seinen ersten Haushalt in Berlin auf einem Schuldenberg von mehr als 38 Milliarden Euro zusammenbauen. Pro Kopf der 3,4 Millionen Berliner sind das rund 11.180 Euro oder ein neuer Kleinwagen.

Noch vor elf Jahren stand Berlin erst mit einem Fünftel dieser Summe in der Kreide. 2,3 Milliarden Euro sind dieses Jahr allein für die Zinszahlung fällig. 2009 soll das Land nach Plänen der Koalition ohne neue Kredite auskommen können. 2001 musste der 22-Milliarden-Euro-Haushalt zu einem Fünftel über Kredite finanziert werden.

Einer der Spareckpfeiler ist der Plan der Koalition, beim öffentlichen Dienst eine Milliarde Euro einzusparen und dafür 15.000 Stellen zu streichen. Zur Senkung der Kosten gebe es keine Alternative, sagte Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) gestern der Nachrichtenagentur ddp. Er setze auf die Bereitschaft der Gewerkschaften zu Verhandlungen.

Die Berliner Wirtschaftsverbände vermissen beim rot-roten Senat Visionen für die Hauptstadt. „Sparen allein kann aus Berlin niemals wieder ein prosperierendes Gemeinwesen machen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer, Thomas Hertz der Deutschen Presse-Agentur. Die Koalitionsvereinbarung reiche als Zukunftskonzept für die nächsten fünf Jahre nicht aus. Das Einkommen der Stadt müsse durch zusätzliche Steuereinnahmen erhöht werden.

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