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Das weiße Schweigen

Im Metropolis: Eine Reihe im Februar versammelt Schneefilme  ■ Von Urs Richter

„Ein guter Projek-tionist zeigt dem Publikum nie die weiße Leinwand“, steht geschrieben im Handbuch des Vorführers. Beizeiten aber reißt der Filmstreifen, und jäh enthüllt sich dem Zuschauer jener schrecklich erhabene Anblick, vor dem der beflissene Projektionist zu bewahren suchte: das blendende Nichts, die Summe aller Farben. Das Ende und der Beginn jedes Bildes – reines Licht. So stellen wir uns das Paradies vor, Hindus den Tod, es war Goethes letzter Wunsch und ist der Anfang aller Illusion.

Was also läge näher, als dieses Weiß ganz ausdrücklich zum Akteur des Kinos zu machen, als Gegenspieler und Urgrund des Filmes, als Tabula rasa, auf der die Spuren seiner Sehnsucht aufleuchten und verlöschen? Semiotiker wie die Brüder Coen erahnen hier die ideale Projektionsfläche. Und folgerichtig haben sie ihren schöns-ten Film, Fargo (1996), gänzlich eingetaucht in Weiß, in Schnee und noch mal Schnee.

Es herrscht tiefer Winter in Minnesota, der glücklose, knautschgesichtige William H. Macy lässt die eigene Frau entführen, um dem betuchten Schwiegervater gehörig Lösegeld abzupressen. Was schief gehen kann, muss schief gehen, Murphy's Law diktiert das Drehbuch. Durch die gefrorene Öde stakst Francis McDormand, hochschwanger unterm pummeligen Polizeianorak, dem Verbrechen auf der Spur. Die ist fürchterlich blutig, doch Neuschnee breitet gnädig seinen Mantel aus.

In Sergio Corbuccis Anti-Wes-tern Leichen pflastern seinen Weg (1968) ist davon am Ende nur brauner Matsch übrig. Jean-Luis Trintignant als schweigsamer Rächer bleibt genauso auf der Strecke, wie die vermeintliche Unschuld des Weiß. Kinski stiert in gewohntem Wahnsinn in graue Himmel und wir schlagen auf dem Heimweg den Mantelkragen hoch.

Einer gewaltigen Wand aus Weiß sieht Leni Riefenstahl entgegen in Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929), hier noch vor der Kamera und ein ziemlich sexy Alpenhascherl. So groß ist der Berg, dass der kleine Mensch an ihm wachsen muss, will er nicht verrückt werden. Einer ist schon um den Verstand gebracht, dem hat der Palü die Frau genommen, jetzt kehrt er jedes Jahr zurück in rasender Eifersucht. Aber der Berg erklärt sich nicht, er schweigt beharrlich und schickt ab und an eine Lawine zu Tal. Dort, wo sich dann Brüche auftun im ewigen Eis, entsteht Raum für Heldentaten und eine beeindruckend dramatische Kameraarbeit.

Vom weißen Element als Herr über Leben und Tod erzählt auch Robert Flahertys Nanook of the North (1921). Lin-guistik-Erstsemestern wird gerne erläutert, dass Eskimosprachen dreihundert Synonyme kennen für die Substanz, die wir als „Schnee“ bezeichnen. Nach diesem Film muss man es glauben. Nanook, der Walrossjäger und Iglubauer, unterscheidet solchen zum Eislochbohren von solchem fürs Schlittenfahren, jenen zum Spurenlesen von jenem fürs Blöcke-Abstechen.

Stundenlang verharrt er im Kanu, bis der Zahnwal auftaucht und die Harpune fliegt, minutenschnell ist dagegen das Heim für zwei Frauen und eine Handvoll Kinder aufgeschichtet. Jeder Handgriff ist blanke Notwendigkeit, der Alltag ein Ringen um Wärme und Fett, ein Säbel aus Knochen das wichtigste Werkzeug. In der schönsten Szene des Filmes sägt Nanook in das neue Iglu ein autoreifengroßes Loch und setzt eine transparente Scheibe Eis ein. Es wird hell im Rund – und wieder ist da dieses Licht.

Der notorische Vorwurf an Flaherty lautet, seine poetischen Dokudramen verklärten die Lebensumstände der Porträtierten. Ein vergleichsweise authentisches Zeugnis vom wilden Leben im hohen Norden legt laut Metropolis-Ankündigung The Silent Enemy (1930) ab. Im Film spielen Chief Yellow Robe und Chief Buffalo mit, echte Indianerhäuptlinge vom Stamme Ojibway aus Kanadas kältesten Jagdgründen.

Ergänzt wird die Schneereihe im Metropolis durch Gold Rush (1925), in dem Charlie Chaplin an den Ufern des Yukon eingeschneit seine Stiefel verspeist, Roman Po-lanskis Vampirklamauk Tanz der Vampire (1967), John Fords letzten Western Cheyenne Autumn (1964), den blöden Film Fräulein Smillas Gespür für Schnee (1997) und Orson Welles Paradestück Citizen Kane (1941). Was Aufstieg und Niedergang des Medientycoons Charles Foster Kane mit Schnee zu tun haben? Ja, weil – „Rosebud“ war doch der Name seines ... Pschscht!

Goldrush : Fr, Sa + Di, 17 Uhr; Die weiße Hölle vom Piz Palü : Mi, 19 Uhr + So, 10.2., 17 Uhr; Fräulein Smillas Gespür für Schnee : Do, 7.2. + So, 10.2., 19 Uhr, Sa, 9.2., 17 Uhr, Di, 12.2., 21.15 Uhr; Fargo : Do, 7.2. + So, 10.2., 21.15 Uhr, Fr, 8.2., 17 Uhr, Mi, 13.2., 19 Uhr; Leichen pflastern seinen Weg : Mi, 13.2. + Sa, 16.2., 21.15 Uhr, Do, 14.2., 19 Uhr, Metropolis; die Reihe wird fortgesetzt

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