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Nichts geht von ganz allein

Olympiasieger Nils Schumann ist auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt und nimmt einen neuen Anlauf in alter Umgebung. Morgen startet er in Erfurt über 1.000 Meter in die Hallensaison

aus Erfurt MARKUS VÖLKER

Es waren nur zwei Runden in einem Stadion, aber sie haben das Leben von Nils Schumann grundlegend verändert. Natürlich hat der Olympiasieg über 800 Meter in Sydney den Thüringer überfordert. Wie sollte er auch damit umgehen, dass er nach gut 100 Sekunden nicht mehr nur ein netter Typ war, der schnell rennen kann, sondern das Laufwunder Schumann, Retter der deutschen Leichtathletik.

Es dauert seine Zeit, um nach solch einem rauschhaften Ereignis wieder zu sich selbst zu finden. Der Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Nach 16 Monaten. Heute startet der 23-Jährige in Erfurt in die Hallensaison. Er geht über 1.000 Meter an den Start. Der Ort ist gut gewählt, steht er doch für seine Rückkehr ins gewohnte Umfeld. Der alte Verein ist der neue. Der alte Trainer ist der neue. Ja sogar die Exfreundin, die Hochspringerin Amewu Mensah, ist wieder mit ihm zusammen. „Man muss lernen, mit so einem Erfolg umzugehen“, sagt er, „man muss danach einfach knallhart auf den Boden der Realität zurück. Man denkt ja manchmal schon selber: Mann, du bist vielleicht ein Supermegatalent und alles geht von allein – tut es aber nicht.“ Um den eigensinnigen Sohn in der Heimat willkommen zu heißen, hat ihn das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft mit einem Sponsorenvertrag ausgestattet. Schumann wirbt für Knackwurst und Pflaumenmus aus dem Freistaat. „Zur Zeit bin ich wieder ganz glücklich“, sagt er.

„Der Boden geht schnell unter den Füßen verloren, man fühlt sich als Übermensch. Auch bei mir hatte sich eine gewisse Leichtfertigkeit breit gemacht“, hat er im Oktober gesagt, bevor er ins Trainingslager nach Südafrika flog und dort in 2.000 Meter Höhe lange Dauerläufe absolvierte, unter Anleitung von Dieter Hermann, seinem Coach, dem Bundestrainer der Mittelstreckler. Beide haben Fehler gemacht, Schumann, als er den Verlockungen des Geldes nach Berlin zur LG Nike folgte. Hermann, als er seinem Athleten im Zorn über den Vereinswechsel die Zusammenarbeit aufkündigte.

„Ich wollte einfach mal was anderes machen, sehen, wie es woanders läuft“, erklärt Schumann, „doch es war nicht alles so optimal, wie man sich das vorstellt.“ Nichts klappte recht. Bei der WM wurde er nur Fünfter. Er fragte Hermann, ob er nicht helfen könne. Der Trainer nahm das Angebot an. Die Rückkehr zur Lauftruppe von Creaton Großengottern war zwangsläufig. Schumann suchte Ruhe, wollte nicht mehr „gleichzeitig der beste 800-Meter-Läufer, Fußballer, Motorradfahrer und Partygänger“ sein, sondern nur noch der Läufer, der es schafft, diszipliniert ein Jahr lang auf hohem Niveau zu trainieren, um der wachsenden Konkurrenz bei Golden-League-Meetings nicht mehr eine Sekunde hinterher zu rennen. „Man hat ja auch als Olympiasieger keinen Bonus. Es gibt keinen, der sagt: Bitte, Herr Schumann, wir reservieren ein Plätzchen im Finale für sie.“

Diese einfache Erkenntnis musste erst in ihm reifen. In dieser Phase des Grübelns und der Suche habe er sich oft energielos gefühlt. „Was früher unbeschwert war, ist plötzlich nicht mehr ganz so einfach.“ Er folgte schließlich allein seinem Willen, denn „wenn ich auf jeden Rücksicht nehme, dann zerreiß ich mich selber“. Den Vereinswechsel unternahm er in Eigenregie. Sein Manager Klaus Kärcher erfuhr davon erst später. Schumann glaubt, seine Lehren gezogen zu haben. „Ich erkenne heute den einen oder anderen Parasiten mehr.“ Auf Leute, die sich mit ihm zeigen wollen, „nur um ein Stück vom Kuchen abzubekommen“, kann er getrost verzichten.

Gewonnen hat er „an Kaltschnäuzigkeit und Weitsicht“. Er schaut vorerst bis zur EM im Juli in München. Dort will er seinen Titel von Budapest 1998 verteidigen. Der Russe Borsakowski und der Pole Czapiewski, der Däne Kipketer und nicht zuletzt der Schweizer Weltmeister Bucher wollen ihn daran hindern. „Wenn ich topfit bin, habe ich auch eine Siegchance“, sagt Schumann selbstsicher. „Aber es wird verdammt schwer, bis dahin ohne Ablenkungen und Probleme zu trainieren.“ Ende Dezember hatte er eine üble Bronchitis, deshalb solle man in der Wintersaison keine Wunder erwarten. Er geht nach der Veranstaltung in Erfurt noch am Sonntag in Stuttgart und in Stockholm (13. Februar) an den Start. Anfang März findet die Hallen-EM in Wien statt. „Ich kann jetzt mit vielen Sachen besser umgehen“, sagt er, „die Frage ist aber, ob ich schneller laufen kann, denn darum geht es eigentlich.“ Diese Frage will Nils Schumann in diesem Jahr beantworten. Nicht mehr und nicht weniger.

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