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robin alexander über SchicksalMemento mori, sowohl als auch

Geld gegen Wahrheit? Die Kultusminister gegen die Klassiker? Nicht einmal mehr dem Duden ist zu trauen!

Die Wahrheit zu erfahren, ist teurer geworden. „Sie erreichen die Sprachberatungsstelle der Dudenredaktion jetzt unter 01 90/ 87 00 98 für 3,63 Mark pro Minute“, sagt eine präzise Stimme vom Band. Ganz schön happig, aber das Vorhaben, über die Duden-Telefonzentrale zur Auskunft vorzudringen, scheitert. Also muss der Preis gezahlt werden – denn die letzte verbliebene tragende Säule unserer Gesellschaft wackelt – die Sprache. In einer Zeit, in der sogar Krieg und Frieden semantisch ineinander fließen und Edmund Stoiber ein Mann der Mitte sein will, gibt es nur noch eine Instanz, die in einer „Sowohl-als-auch-Welt“ über „richtig“ oder „falsch“ entscheidet: das Buch der Bücher, der Duden. Kann es, nein, darf es denn wahr sein, dass ausgerechnet das „Standardwerk zu allen Fragen der Rechtschreibung“ irrt? Hat mir der Duden eine falsche Auskunft erteilt?

Die ersten Zweifel stellten sich ein, als die neuen Duden-Ausgaben auftauchten, in denen viele Worte rot gedruckt sind. Offiziell, um auf die Reform der Rechtschreibung durch die Rechtschreibreform hinzuweisen. In Wahrheit natürlich, um sich zu distanzieren. Rot ist – wie jedes Schulkind weiß – nicht die Farbe der Liebe oder die Farbe der Revolution, sondern die Farbe des angestrichenen Fehlers.

Aber stimmt denn wenigstens der Rest? „In dubio pro Duden“, sagte der halbgebildete Kollege mir gegenüber und reichte mir die gelbe Bibel über den Schreibtisch. Es ging darum, für die Kolumne von vor vierzehn Tagen den Begriff „Memento mori“ zu übersetzen. Ich vertraute dem Duden und bekam die Quittung zwei Tage später als Leserbrief: „Ein wirklicher Schicksalsschlag – die taz hat ihr Latein doch vergessen: Auf S. 12 der Ausgabe vom 18. Januar wird ‚Memento mori‘ übersetzt mit ‚Gedenke des Todes‘. Dies müsste ‚Memento mortis‘ heißen. ‚Memento mori‘ heißt ‚Denke daran, dass du stirbst‘. Mori ist der (klassische) Infinitiv Präsens von morior, mortuus sum, moriturus. Wann bringt ihr wieder die ‚Lateinstunde‘“?, schrieb Maria Dietzfelbinger aus Tübingen.

Es gibt Leserbriefe, gegen die wir Zeitungsschreiber unempfindlich sind. Ernst nehmen wir aber, wenn ein Leser klagt, falsch informiert worden zu sein. Treue Leserinnen mit falschen Übersetzungen gequält zu haben ist für echte Journalisten kaum zu ertragen. Doch hier geht es um mehr. Wie ein ehemals tief Gläubiger, der jetzt seine Zweifel gen Himmel schreit, frage ich für 3,63 Mark die Minute, wie glaubhaft der Duden noch ist.

Die Instanz der Wahrheit wird vertreten durch eine jugendliche Stimme, die sich als „Herr Pellengaher“ vorstellt. Herr Pellengaher scheint sich seiner hohen Verantwortung zunächst nicht vollständig bewusst. Auf die Frage nach dem „Memento mori“ erzählt er fröhlich von „mittelalterlicher Totentanz-Dichtung“, die ihn in seinem Germanistikstudium beschäftigt habe.

– „Heißt es nun ‚Gedenke des Todes‘ oder nicht?“, unterbreche ich nach vier Minuten und 14,52 Mark .

– „Nun, bei uns in den Werken steht ‚Gedenke des Todes‘.“

– „Welche Werke?“

– „Wir benutzen die Wörterbücher des Dudens.“

Der Duden hat also Recht, weil es so im Duden steht. Vielleicht kann sich eine höchste Autorität ja nur auf sich selbst berufen, denke ich und will mich schon bedanken. Da sagt der Vertreter der höchsten Autorität plötzlich:

„Nach meiner privaten Meinung handelt es sich bei ‚Memento mori‘ um einen Imperativ mit Infinitiv, einen so genannten Deponens, der nur in passiver Form auftritt. Das eröffnet für die deutsche Übersetzung gewisse Möglichkeiten.“

Ich verstehe nicht ganz. Die Rechtschreibreform lässt zwar bei Kommasetzung und Rechtschreibung jetzt jede Menge Beliebigkeiten zu; die Orthografie hat mit ihrem „ph“ auch ihre Verlässlichkeit verloren. Aber die klassische Bildung hat noch keine Kultusministerkonferenz beschädigt, oder?

„Was ist also richtig: ‚Gedenke des Todes‘ oder ‚Denke daran, dass du sterblich bist‘?“

Die Antwort, mit der die letzte Autorität dieses Universums bei 25,41 Mark abdankt, habe ich geahnt. Sie erschüttert mich dennoch: „Sowohl als auch“!

Fragen zu Schicksal? kolumne@taz.de

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