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Libyen blickt nach Kamp Zeist

Die Berufungsverhandlungen im Fall Lockerbie werden in dem nordafrikanischen Land mit Spannung verfolgt. Ein positiver Ausgang und die Aufhebung der amerikanischen Sanktionen werden für Muammar Gaddafi langsam zur Überlebensfrage

aus Tripolis JULIA GERLACH

„Jeder Libyer weiß, dass Megrahi unschuldig ist. Nur ihr Europäer, ihr kapiert mal wieder gar nichts.“ Malika ist in ihrem Element. Sie hat sich hinter das große Pult gestellt und doziert. Malika ist 25 Jahre alt und Lehrerin für Politisches Bewusstsein in Sirte. Normalerweise bringt sie Schulkindern die Lehren des Oberst Gaddafi bei. Jetzt freut sie sich, dass sie eine neue Zuhörerin hat. Es geht um den Fall Lockerbie. Um Abdelbasset al Megrahi, der im vergangenen Jahr von dem Sondergericht im niederländischen Kamp Zeist zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er soll 1988 die PanAm 103 über dem schottischen Lockerbie gesprengt haben. Seit vergangener Woche wird über seine Berufung verhandelt.

„Der ganze Prozess ist ein abgekartetes Spiel. Die Amis wollen unserem Führer eins auswischen“, sagt Malika. In Libyen wird der Fall Megrahi mit Spannung verfolgt. Hier geht es nicht nur um Gerechtigkeit. Es geht ums Überleben, auch um das Überleben der Regierung Gaddafi. Unmut macht sich breit im Wüstenland. Malika und ihre Kolleginnen haben ihre Schüler immer wieder überzeugt: dass die Öffnung des Landes zum Westen nur Vorteile bringt, dass es richtig ist, die mutmaßlichen Attentäter von Lockerbie an das Gericht in Kamp Zeist auszuliefern. Die Volkskongresse haben brav zugestimmt, aber jetzt wollen sie endlich die Früchte ernten. „Ihr müsst die Sanktionen aufheben, sofort“, formuliert Malika die zentrale Forderung.

Die Sanktionen, es handelt sich dabei um den „Iran-Libya-Sanction-Act“, werden die USA jedoch nur aufheben, wenn der Fall Lockerbie endgültig zu den Akten gelegt wird. Es hat in den vergangenen Monaten Treffen zwischen Libyern und Amerikanern gegeben. Doch Washington will die Handelsbeschränkungen nur aufheben, wenn Libyen die Verantwortung für den Anschlag zugibt. Präsident Bush verlängerte die Sanktionen um ein weiteres Jahr, quasi als Bekräftigung.

„Wir hatten ja große Hoffnung, als Bush Präsident wurde“, erklärt Said Laswad, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Tripolis. „Er ist doch ein Mann des Öls, und wir dachten, dass er zu einer vernünftigeren Politik bereit sei.“ So hat Libyen amerikanischen Ölfirmen lukrative Geschäfte angeboten. Doch Washington bleibt hart. Europäische Firmenvertreter reiben sich derweil die Hände. Aber die amerikanischen Sanktionen behindern auch die Europäer. So bemüht sich die deutsche Wintershall/BASF um Großaufträge in Libyen. Doch wer sich zu stark in Libyen engagiert, dem droht der Ausschluss vom amerikanischen Markt, so sieht es eine Klausel im Sanction-Act vor.

Ahmed Gadaf al-Damm nennt dies die libysche „Zweibeinmisere“. Er ist der Cousin des Oberst Gaddafi und gilt als einer der mächtigsten Männer des Landes: „Das eine Bein ist die Wirtschaft, das andere die Politik“, erklärt er. „Wir können nur vorwärtskommen, wenn wir mit beiden Beinen Schritte in die richtige Richtung machen.“ Nur mit politischen Lösungen kann die Wirtschaft auf Trab gebracht werden, nur durch verlockende Geschäftsangebote die Politik verführt werden.

Nach dem 11. September war Gaddafi einer der ersten arabischen Staatschefs, die den Terrorismus verurteilten. Natürlich fördert dies Gaddafis Ansehen im Ausland, doch die eigene Bevölkerung will endlich mal etwas davon haben.

Die Anzeichen der Wirtschaftskrise sind im eigentlich so reichen Libyen nicht mehr zu übersehen. Während des Ramadan forderte Gaddafi seine Mitbürger auf, den Konsum einzuschränken. Der libysche Dinar wurde gerade drastisch abgewertet: Ein Zeichen investorenfreundlicher Politik, aber auch der wirtschaftlichen Schwäche. 20.000 Hochschulabsolventen allein drängen jährlich auf den Arbeitsmarkt. Manchmal reicht ein verlorenes Fußballspiel, um Krawalle auszulösen, die sich schnell in Antiregierungsrandale verwandeln. Es wird brenzlig.

„Wir brauchen dringend Investitionen“, sagt Baschir Zinbil, Chef der Investitionsbehörde in Tripolis. „Die meisten Ausländer interessieren sich nur für das Ölgeschäft. Wir müssen jedoch unsere produzierende Industrie aufbauen. So bekommt unsere Jugend Arbeit. Dafür brauchen wir Technologie aus dem Westen.“ Doch High-Tech-Importe verbieten die Sanktionen quasi, und wer investiert schon gern in einem Schurkenstaat? Also blicken alle gespannt nach Kamp Zeist. Wird Megrahis Unschuld jetzt endlich bewiesen? Oder gesteht Libyen seine Schuld ein? Tripolis wird zu Eingeständnissen bereit sein. Selbst Malika vergeht irgendwann die Lust an politischer Überzeugungsarbeit. Märtyrersprüche und Durchhalteparolen kommen bei der libyschen Jugend immer schlechter an. Sie träumen von den Discos auf Malta und legen Wert auf türkische Designermode.

Malika – sie trägt ein Jäckchen aus Leopardenplüsch – freut sich über den Besuch aus Europa: „Bist du verheiratet, hast du Kinder?“, bohrt sie, und: „Hast du nicht einen Bruder, den ich heiraten kann?“ Ich blicke sie erstaunt an. „Wieso willst du denn meinen Bruder heiraten? Ich weiß nicht, ob der Lust hätte, hier in Sirte zu leben“, sage ich. „Ich will natürlich einen Deutschen heiraten, damit ich hier wegkomme.“ Es ist nicht leicht, das Leben als Lehrerin für politisches Bewusstsein in diesen Tagen in Libyen.

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