: Das Straßenbild
Die Reklamerezension. Heute: Berlin, U-Bahn Kaiserdamm
Auf den ersten Blick sieht man nur die Nullen. Nullen? Möchte die Bild-Zeitung hier mit einem etwas schlichten digitalen Code für ihre eigene Hauptqualität, die Fähigkeit zur Verschlichtung, werben? Statt sich lustig abwechselnder Nullen und Einsen zeigt die Bild-Werbung schwarz auf weiß, im Gewand der Sachlichkeit, nur Nullen, siebenundvierzig Stück.
Oha: Die größtmögliche bisher bekannte Vereinfachung, die Reduktion jeder Information auf ein binäres sprachlogisches System, wird noch weiter reduziert auf die einförmige Aussage, die Kette von Nullen, ein Nichts. Sollte die Bild hier ihre eigene Funktion als Informationsvernichterin ironisch gewendet und zur Werbung umfunktioniert haben?
Aber nein. Auf den zweiten Blick erst sieht man am Anfang und am Ende der Nullerkette ein „Gesundheitsref“ und ein „rm“. Die Nullen sind Os. Jetzt wundert man sich, dass die Bildzeitung für die Gesundheitsreform wirbt, indem sie dieses komplexe und unsinnliche Ding mit den überschnappenden „Tooooooor! Tooooooor!“-Rufen in der Tradition eines Herbert Zimmermann in Verbindung bringt. Zimmermann, nur zur Erinnerung, ist der legendäre Radioreporter, der das Fußballweltmeisterschaftsspiel Österreich gegen Deutschland 1954 derartig gefühlsbetont begleitete, dass seine O-Töne selbst erklärten Fußballmuffeln vertraut sind. Aber ist das möglich, dass die Bild-Zeitung „Gesundheitsrefoooorm! Gesundheitsrefoooooorm!“ trompetet und damit das politische Spiel der Gesundheitsministerin bejubelt? „Ulla, du Gesundheitsgöttin“? „Aus, aus, aus! Die SPD ist Gesundheitsweltmeisterin“?
Hm. So dicht an Ulla Schmidt hätten wir die Bildzeitung bislang nicht vermutet. Vielleicht möchte sie nur auf das orgiastische Element der Tooooor-Rufe anspielen, bloß die Lautung übernehmen, nicht die Wertung? Die Schmidt ist der Bild nämlich ganz egal. Worum es geht, ist die Umprägung des drögen Stoffs in eine Frage der Lust: Gesundheitspolitik als Leidenschaft, die ihren Höhepunkt in der Gesundheitsreform findet, der wiederum von einem orgasmischen Ausruf gekrönt wird.
Die Sache wird immer unwahrscheinlicher. Was zum Henker will uns die Bildzeitung sagen? „Man kann auch schneller zur Sache kommen“, steht drunter. Der Bild geht offenbar etwas zu langsam. Man kann auch schneller zum Höhepunkt …? Das kann doch alles nicht wahr sein. Nullen! Os! Tooooor! Gesundheitsreform!
Und wenn die Bild-Zeitung alles gleichzeitig meint? Gesundheitsreform als simpel codierte Nullleistung, die uns von der Gesundheitsministerin als Leidenschaft verkauft wird, von der Bild dafür bedacht mit einem gequälten, langen Seufzer, durch den sie ihre eigene Fähigkeit zur Informationsreduktion ironisch bewirbt? Genial. Ob das die Bild-Leser wirklich zu schätzen wissen? ULRIKE WINKELMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen