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Museale Anhäufung

Kaum mehr als Materialfülle: Die Ausstellung „nackt – Die Ästhetik der Blöße“ im Museum für Kunst und Gewerbe  ■ Von Hajo Schiff

Geschlechtsteile am laufenden Meter. Doch wer nur der versammelten Nacktheit zwischen die Beine gucken will, geht normalerweise nicht ins Museum. Braucht er auch kaum: Noch nie seit Tut-anch-Amun war eine Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe schon vorab so erfolgreich in der illustrierten Presse vertreten. Und noch nie wurde zeitgleich der Blick auf nacktes Fleisch derartig umfangreich mit musealen Weihen ausgestattet: Zum Themenumkreis gibt es in den nächsten Monaten deutschlandweit mehr als fünf große Ausstellungen.

Ein bloßes Interesse an Eintrittsgeldern von Voyeuren weist das Museum für Kunst und Gewerbe jedoch strikt von sich. Absicht der etwa 250 Exponate sei vielmehr nichts Geringeres als eine Kulturgeschichte des unbekleideten Körpers seit 2500 Jahren. In der Tat wird von der Anatomiepuppe aus der Renaissance zu 120 Dessous-Modellen um 1925, vom Fruchtbarkeitsrelief aus einem mikronesischen Männerhaus zum gestählten Akt von NS-Bildnerin Leni Riefenstahl oder vom bronzezeitlichen Idol zur Schockwerbung des Benneton-Fotografen Toscani ein immenses Material gezeigt.

Doch genau genommen ist „nackt“ ein unbrauchbares Kriterium. Denn viele der gezeigten Körperbilder scheinen nur unbekleidet zu sein. Allegorische und religiöse Figuren sind stets mit Bedeutung bekleidet und Lebensreformer und FKKler tragen ihr so genanntes „Lichtkleid“. Und oft liegt der Skandal eher in der Bekleidung: Nicht nur bei Amazonas-Indianern wirken bunte Turnhosen scheußlich, auch griechischen Olympioniken und Kriegern war Kleidung so peinlich, dass noch der bronzene Brustpanzer aus dem 4. Jahrhundert Brustwarzen und ein ideales Muskelspiel vorgaukelt. Der Vergleich dieses klassischen Stücks mit dem Kostüm, das die Berliner Designerin Abba d'Urbano vor zwei Jahren mit dem Foto ihres nackten Körpers bedruckt hat, zeigt übrigens, was so ein kulturvergleichender Quereinstieg über die Jahrtausende im besten Falle dann doch zu leisten vermag.

Tabugrenzen verschieben sich erstaunlich kurzfristig. Die Protzphalli – bis vor kurzem auf dem Index der katholischen Kirche – pompeianischer Hausgeister finden inzwischen wieder belustigtes Verständnis. Doch Umwertungen gehen auch in die gegenteilige Richtung: Fanden selbst prüdeste Gesellschaften nichts an nackten Putten auszusetzen, so ist heute zwar alles möglich, nur keine Nacktbilder von Kindern. Und genau hier findet auch diese Ausstellung, die noch den von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian und die in japanischer Tradition durch den Schritt gefesselten Frauen Arakis auf die Liste der Lustobjekte setzt, ihre eigene Grenze.

Natürlich weiß auch die Ausstellungsleitung der von Direktor Hornbostel als „allerliebst“ bezeichneten Ausstellung, dass es Nacktheit an sich gar nicht gibt – sie ist immer eine Frage des Kontextes. Doch unklar bleibt, was die mit ihrer Materialfülle aus allen Abteilungen des Mehr-Sparten-Hauses bestückte, seltsam aperçuhafte Ausstellung eigentlich will. Zwar schützt man sich mit didaktischen Texten vor Entrüstung, hat aber, wie schon öfters in diesem Hause, keine These vorzutragen. Anders als beispielsweise bei den ebenfalls kulturgeschichtlichen Tafeln eines Aby Warburg, ist hier Addition keine Erkenntnismethode.

Es ist die nackte Wahrheit, dass es sich bei nackt eigentlich nicht einmal um eine Ausstellung handelt, sondern eben um eine museale Anhäufung alles irgendwie mit dem Titel in Verbindung zu Bringenden. Heilig oder Profan, eklig ausgezogen oder biologisch natürlich, Lust oder Frust: Interpretation und Nutzung obliegt allein den Betrachtern. Und von der Ärztin zum Zuhälter verfügen die womöglich über präzisere Kriterien der Nacktheit, als die Ausstellungsmacher es wahrhaben wollen.

nackt – Die Ästhetik der Blöße, Museum für Kunst und Gewerbe, bis 28. April; Katalog im Verlag Prestel, 192 S., ca. 250 Abbildungen, 24 Euro; Führungen: Sonntags 12 Uhr und Donnerstags 19 Uhr, dann mit Einblick in eine Aktzeichenklasse

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