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„Diese Zahl ist abartig“

Berlin muss in diesem Jahr 6,3 Milliarden Euro aufnehmen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das Ziel, im Jahre 2009 einen ausgeglichenen Etat zu erreichen, hat der Finanzsenator aufgegeben

von ROBIN ALEXANDER

Die Präsentation von Haushaltsdaten ist in Berlin endgültig zur pädagogischen Veranstaltung geworden. Thilo Sarrazin (SPD), erst vor wenigen Wochen als neuer Finanzsenator vereidigt, stellte gestern Eckwerte seiner Planung für die nächsten Jahre vor. In diesem Jahr steigt die Nettoneuverschuldung auf 6,3 Milliarden Euro. „Diese Zahl ist abartig“, kommentierte der Senator. Läuft die Konsolidierung des Haushaltes wie geplant, soll es zum Ende der Legislaturperiode 2006 noch 2,4 Milliarden Euro Neuverschuldung geben.

Schon mit der Anordnung der Daten will Sarrazin sein politisches Programm deutlich machen. Zuerst kommen bei Sarrazin die so genannten „Primärausgaben“, also die Ausgaben ohne Zinsen. Danach zeigt Sarrazin die „Primäreinnahmen“, in denen die Erträge durch Verkauf von Landeseigentum nicht enthalten sind. Bei dieser Anordnung fällt sofort auf, worauf Sarrazin hinweisen will: „Das Problem liegt auf der Ausgabenseite.“ Ziel seiner Politik sei „die laufenden Ausgaben unter die laufenden Einnahmen zu drücken“.

Drohung an Ver.di

Dieses Ziel will Sarrazin durch eine Begrenzung der Neueinstellungen auf jährlich höchstens tausend Mitarbeiter erreichen. Außerdem solllen die konsumptiven Sachausgaben jedes Jahr um 350 Millionen Euro schrumpfen. Sarrazin geht davon aus, durch den noch zu verhandelnden „Solidarpakt“ mit den Gewerkschaften 250 Millionen Euro Personalkosten im Jahr 2003 einzusparen, danach sogar eine halbe Milliarde Euro jährlich. Hier könnte der Finanzsenator die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Die Riesengewerkschaft Ver.di, die das Personal des Landes Berlin vertritt, zeigte sich bisher kaum kooperativ. Sarrazin erklärte gestern, er rechne mit „kooperativen“ Verhandlungspartnern, unterließ jedoch auch Drohungen in Richtung Ver.di nicht. Ohne Einigung in Sachen Solidarpakt, werde er „alle Neueinstellungen auf Eis legen“, weitere „einseitige Maßnahmen zur Reduzierung der Personalkosten“ wollte Sarrazin gestern auch auf Nachfrage nicht nennen, erklärte aber „ich habe da einiges im Kopf“.

Der am Wochenende bekannt gewordene langfristige Finanzbedarf der Bankgesellschaft findet sich in der Planung mit 300 Millionen Euro Risikoabdeckung pro Jahr beginnend in 2003. Nach Sarrazins Prognose wird eine Reduzierung der Nettoneuverschuldung auf Null im Jahre 2009 nicht erreichbar sein. Dies war erklärtes Ziel der großen Koalition, des rot-grünen Übergangssenats und bisher auch der neuen rot-roten Regierung. Nur wenn eine „ganz unerwartete Entwicklung“ eintrete, sei dies noch möglich, so Sarrazin.

Die gestern im Senat beschlossenen Eckwerte laufen darauf hinaus, dass Berlin ab dem Jahr 2006 mehr einnimmt als ausgibt. Diese Planung ist sehr optimistisch. In Sarrazins Planungen fehlen etwa eventuelle Ausgaben für den Bau des Flughafens, von dem noch nicht klar ist, ob er tatsächlich privat finanziert werden wird. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Jochen Esser, kritisierte gestern unter anderem das Fehlen einer Vorsorge für Preissteigerungen und „Buchungstricks“.

Selbst wenn Sarrazins Planung aufgeht, sitzt Berlin 2006 auf gigantischen 56 Milliarden Euro Verschuldung.

Die erheblichen Abweichungen der gestern vorgestellten Werte zu den Zahlen, die die ehemalige Finanzsenatorin Christiane Krajeweski (SPD) noch vor wenigen Monaten präsentiert hatte, wollte Sarrazin nicht kommentieren. Vielmehr erzählte er genüsslich, wie „bestürzt, sehr bestürzt“ die PDS-Senatoren seinen Vortrag im Senat zur Kenntnis genommen hätten. Auch jenseits dieses Gremiums sieht sich Sarrazin als Lehrmeister: Seine Aufgabe in Berlin sehe er darin, die „Elementarmathematik allen Beteiligten nahezubringen“.

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