piwik no script img

Gelbe Säcke im Karneval

Der 1. FC Köln gehört nach dem erbärmlichen 0:4 beim Rheinlandrivalen Borussia Mönchengladbach allmählich auf die Sondermülldeponie. Wer den Verein dort betreuen wird, bleibt aber offen

vom Bökelberg BERND MÜLLENDER

Der Weg zum Mönchengladbacher Hauptbahnhof glich am späten Abend einer mittleren Müllhalde. Was der saubere Bürger brav an wiederverwertbarem Plastikabfall mit grünem Punkt in voll gestopften gelben Säcken vor die Haustür gestellt hatte, zerfledderten gefrustete Kölner Fans nach dem Spiel nachhaltig. Der Inhalt hunderter Säcke war in der Fußgängerzone verteilt. Ein passendes Bild: Denn nach dem unterirdischen 0:4 gehört der FC allmählich selbst auf die Deponie. Wer will diesen Sondermüll von Fußballverein schon noch recyclen?

Das scheint auch FC-Präsident Albert Caspers nicht mehr zu wissen. Ob das der Tiefpunkt seiner Amtszeit war, wurde er gefragt. „Absolut“, entfuhr es ihm spontan. Und was nun? Er wolle im Laufe des Mittwochs das Präsidium zusammenrufen, um dann über die weitere Trainerfrage nachzudenken. Eine Gruppe Fans skandierte „Christoph Daum“, als sie Caspers entdeckten; entsprechende Gerüchte um den koksenden Excoach kursieren derzeit tatsächlich. Kein Wahnsinn ist in Köln mehr undenkbar. Auch den Leibhaftigen würden sie auf der Trainerbank akzeptieren, wahrscheinlich sogar einen Düsseldorfer (Ristic?) oder gleich den Geißbock Hennes VII., so das alles nur ein Ende hätte. Manager Hannes Linßen: „Wir sind im Abstiegskampf jetzt krasser Außenseiter.“

Auch Interimscoach Christoph John, der wegen gegelter Haare und physiognomischer Ähnlichkeit schon „der kleine Daum“ genannt wird, funktioniert offenbar nicht. Nach diesem Dienstagabend reicht nicht ein Rettertyp, sondern einer, der gleichzeitig einen Vertrag für die 2. Liga und einen neuen Neuanfang unterschreibt. Welcher Trainer lässt sich auf dieses Höllenfahrtskommando ein?

Lange schien es ein Spiel für Statistiker. Das Derby aus großen alten Zeiten offensiver Lustbarkeiten stand im Zeichen der Nullserien: Gladbach seit 334 Minuten ohne Tor und zehn Spiele sieglos; Köln sechs Ligaspiele sieglos und dabei seit massigen 599 Minuten ohne Tor, weshalb man schon Historiker nach alten Schriften fragen muss, wer wohl das letzte Mal getroffen hat. Nur ein Sieg würde helfen – beiden.

Aber von wegen Showdown in der ersten Halbzeit: Beide hatten Angst, und keiner konnte den anderen Schwächling ernsthaft bedrängen. Und als Gladbachs Daniel Felgenhauer (16. Minute) einen Freistoß nach Art des Netzers genau im Moment der sechsstündigen Torlosigkeit so geschlenzelt hatte, dass der Ball erst Latte, dann Boden, dann wieder die Lattenunterkante traf, hatten alle gesehen, dass er hinter der Linie aufgetropft war – nur Schiedsrichter Fröhlich nicht. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen – oder in der Kabine einen Fernseher. Jedenfalls schenkte er den Borussen nach 50 Minuten einen lächerlichen Foulelfmeter, den Markus Münch versenkte.

Umgehend hatte der FC „völlig den Kopf verloren“ (John); was „ein mentales Problem“ sei. Seine Elf sei umgehend „ohne Orientierung“ gewesen und „blind nach vorn“ gerannt. Die Folge: Gladbachs Arie van Lent konterte bis Minute 70 nach Belieben zum Hattrick. John: „Es hätten auch mehr Tore werden können.“

Der Borussenjubel war aber auch so schon riesig. Erstens: endlich mal wieder gewonnen. Zweitens: so schön hoch. Drittens: gegen diesen Karnevalsverein. Viertens: eben zum Karneval. Doch dann kamen die Ergebnisse aus Cottbus und Stuttgart und Trainer Hans Meyer sagte: „Uns steht das Wasser weiter bis zur Unterlippe.“ Aber: „Es war für uns wichtig zu sehen, dass wir es noch können.“

Ein dem Kölner wesensfremdes Gefühl. Der FC hat dafür mit dem neuen Mittelstürmer Lilian Laslandes den wahrscheinlich einzigen französischen Nationalspieler ohne jeden Anflug von Eleganz, der selbst in der wenig filigranen FC-Elf wie ein Hafflinger unter Wildpferden wirkt. Und Köln hat bekanntlich keinen Ewald Lienen mehr. Das bedauerten Gladbachs Fans und skandierten dessen Namen mit hämischem Sarkasmus zehntausendfach. Vielleicht wäre Ewald Lienen ja auch ein guter Nachfolger seiner selbst. Oder kann Hennes Weisweiler reinkarniert werden?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen