: Kampf um die Geschäftsordnung
Wer den Text einer künftigen EU-Verfassung formulieren darf, der hat auch die Macht im Konvent. Und so schlägt nun die Stunde der Taktierer
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Drei Wochen vor der Eröffnungssitzung steht fest, wie der Reformkonvent aussehen wird, der die Zukunft Europas gestalten und ein Signal an EU-müde Wählerschichten aussenden soll: wie ein Debattierclub alter Männer. Passend dazu die Website des Vorsitzenden Valéry Giscard d’Estaing: Sie ist sepiafarben, gediegen, geschmückt mit dem Konterfei des lächelnden Herrn mit schütterem Haar. Wie bei ihm und seinen zwei Stellvertretern steht auch bei sieben der fünfzehn Regierungsvertreter, die dem Konvent angehören werden, „ehem.“ für „ehemalig“ vor der letzten im Lebenslauf angeführten Funktion.
So schickt Irland den „ehem.“ Finanzminister und „ehem.“ EU-Agrarkommissar Ray McSharry. Nach ihm ist sogar eine Agrarreform benannt, die zu Beginn der 90er-Jahre Getreide- und Fleischberge abbauen sollte.
Das klägliche Resultat dieser Bemühungen scheint kein gutes Omen für die nun nötigen Strukturerneuerungen. Auch der „ehem.“ Kommissionspräsident Jacques Santer, den Luxemburg ins Rennen schickt, kann nicht gerade als Maskottchen gelten. Sein Name wird mit Missmanagement und Vetternwirtschaft in Verbindung gebracht, über die vor knapp drei Jahren seine ganze Kommission stürzte. Immerhin hebt Santer, der jetzt für die Konservativen im Europaparlament sitzt, die Parlamentarierquote im Konvent.
Auch Griechenland und Spanien haben mit dem Sozialisten Georgios Katiforis und der Konservativen Ana Palacio Vallelersundi Europaabgeordnete als nationale Vertreter benannt. Ob die sich den Interessen ihrer Regierungen verpflichtet fühlen oder mit den übrigen ParlamentsvertreterInnen zu politischen Familien zusammenfinden, ist noch nicht abzusehen.
Viel wird von der Geschäftsordnung abhängen, auf die der Konvent sich in der ersten Sitzung verständigen muss. Bereits beim Grundrechtekonvent zeigte sich, welch entscheidenden Einfluss formal scheinende Beschlüsse auf das Endergebnis haben können. Damals hatte ein Redaktionsausschuss, in dem neben Roman Herzog ein Vertreter der portugiesischen Ratspräsidentschaft, ein finnischer nationaler Abgeordneter und der spanische Europaabgeordnete Inigo Méndez de Vigo saßen, die Artikel jeweils vorformuliert, bevor sie dem Plenum zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt wurden. So landete manch kühner Gedanke im Papierkorb, bevor das Plenum Gelegenheit hatte, Gefallen daran zu finden.
Von den damaligen Mitgliedern des Redaktionsausschusses ist nur der konservative Abgeordnete Méndez de Vigo diesmal wieder mit von der Partie. Gemeinsam mit dem deutschen Fraktionskollegen Elmar Brok, der als engagierter Gegner des Nizzavertrages aufgetreten ist, wird er Geschäftsordnungstricks zu verhindern versuchen. Bereits Ende Januar warnte Brok bei der Sitzung der konservativen Konventsdelegierten im Europaparlament davor, dem Konventspräsidium zu viel Macht einzuräumen.
„Es kann nicht angehen, dass das Präsidium ständig berät und dann hin und wieder seinen nationalen Volkskongress zusammenruft“, sagte Brok. Er bezog sich dabei auf Überlegungen, das Präsidium zwei Mal wöchentlich, den gesamten Konvent hingegen nur ein Mal im Monat tagen zu lassen. Da in dem zwölfköpfigen Präsidium neben vier Parlamentsvertretern und zwei EU-Kommissaren immerhin sechs Regierungsvertreter sitzen, würde ein solcher Rhythmus die Volksvertreter im Konvent schwächen und die geplante breite Debatte ad absurdum führen.
Nimmt man die Meldungen, die das neue Gremium seit seiner Geburt beim EU-Gipfel von Laeken im Dezember produziert hat, als Omen für die künftige Arbeit, dann sieht es für die Reform der Union ohnehin düster aus. Die Tinte auf der „Laekener Erklärung“ war noch nicht trocken, da stritten die Regierungschefs schon um ihre Interpretation. Der italienische Regierungschef Berlusconi wollte den Konventsvize Amato nicht als seinen Repräsentanten akzeptieren und nominierte zusätzlich den Postfaschisten Gianfranco Fini. Darauf reklamierten auch Frankreich und Belgien einen zusätzlichen Vertreter.
Valéry Giscard d’Estaing machte Schlagzeilen, weil er angeblich 20.000 Euro Gehalt im Monat gefordert hatte – so viel wie der Präsident der EU-Kommission, kommentierten die Zeitungen empört. Wenig später stellte sich heraus, dass nicht einmal für die laufenden Geschäfte des Konventssekretariats, für Hotels und Reisen Geld da war. Die Regierungschefs hatten in Laeken schlicht vergessen, die Haushaltskasse zu füllen. Auf dem Rat der Außenminister Ende Januar beschlossen sie für das laufende Jahr ein Budget von 10,5 Millionen Euro. Giscard verzichtet auf die Aufwandsentschädigung, wird aber mit einem üppigen Tagegeld von 1.000 Euro standesgemäß getröstet.
Angesichts dieser Vorgeplänkel wirkt der Optimismus des Bundestagsvertreters Jürgen Meyer erfrischend. Er denkt bereits laut darüber nach, ob die Verfassung, die nach seiner Überzeugung am Ende der Konventsarbeit stehen wird, durch eine europaweite Volksabstimmung „in den Köpfen und Herzen der Menschen“ festgeschrieben werden könnte. Den anderen alten Männern wird so viel Aufbruchstimmung wohl nur ein müdes Lächeln entlocken.
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