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Symphonie einer Baustelle

Wo sich kürzlich noch Fuchs und Daimler gute Nacht sagten: In „80.000 Shots“ hat Manfred Walther festgehalten, wie am Potsdamer Platz Großstadt gemacht wurde

Baustellen waren früher eher was für Bauarbeiter oder für Anwohner, die sich über Lärm und Dreck beschwerten. Der Potsdamer Platz dagegen wurde in den Neunzigern zum Mega-Ereignis.

Das simple Betonloch voll Wasser wurde zur Schaustelle hochdefiniert, die Infobox zur Wallfahrtstätte der Betonanbeter, und vom Dach des Weinhauses Huth aus hatte der Bau-Schaulustige die beste Sicht auf kleine Schiffchen, Taucher, Bagger und allerlei auswärtige Bauleute. Manch einer kam fast jeden Tag kurz vorbei und registrierte Baufortschritte. Auf der provisorischen Brücke Potsdamer Straße wurde gern auch mit Fremden der Bau diskutiert.

Einer dieser Bauzaungäste war der Fotograf Manfred Walther, der in Neukölln das kleine Fotogeschäft ASA 90 betreibt. Walther wurde zum Baustellensüchtigen. Er dokumentierte die letzten Fahrten der Magnetbahn und auch das hektische Verschwinden der Mauer. Seine Fotos sind eine wohl einmalige Sammlung eines manisch Besessenen: Tag und Nacht lag er auf der Lauer für die besonderen Momente und Bilder.

Für die Berlinale hat er ein paar wenige davon, gerade mal 80.000, zu einer Montage zusammengefügt. Nun sehen wir im Schnelldurchlauf von knapp einer Stunde noch einmal, wie die einstige Stadtbrache mit ihren Kaninchen zum Stadtviertel von Daimler und Sony wird. In Sekundenschnelle entsteht die U 2 neu. Die ersten Bagger graben fast schüchtern hier und da ein Löchlein. Das alte Studentenwohnheim wird gesprengt. Dann werden die Löcher tiefer, größer. Schutt und Erde rollen wie in einer Sandkiste herum. Züge bringen Matsch und Geröll weg, Betonmischer sausen herbei.

Symphonie der Großstadt ist eine abgegriffene Formulierung, aber für dieses Werk in Zeitraffer ist der Filmbegriff nahe liegend. Zumal die Musik von Andreas Czeschka jazzig kongenial das Ballett der Bagger untermalt. Funky drehen sich die Großen, schaufeln etwas aufs Schiff und der kleine Bagger schaufelt wiederum das Zeug aus dem Schiff. Dann wachsen die Fertigteile auch schon mit Riesenschritten in den Himmel. Treppen fliegen lustig durch die Lüfte. Schwupps ist die Betonfront verglast, mit hässlichen Vorhangfassadenteilen versehen. Dann rauscht der Kaisersaal des Esplanade auch schon auf Schienen um die Ecke. Das Wasser verschwindet, ein Bahntunnel entsteht. Bei Sony ist man etwas langsamer als bei Daimler. Dann aber wird auch hier das Dach zusammengeschweißt. Schnell wie beim Zelturlaub ist die Plane drüber.

Diese Doku ohne jeden Kommentar bringt sogar zum Lachen. Sie ist entwaffnend wertfrei. Hauptsache es wird gebaut, egal was. Und dann feiert der Film seine Premiere in einem dieser Betonlöcher, zwischen tausenden von Tiefgaragenstellplätzen. Eine merkwürdige Selbstreferenzialität. ANDREAS BECKER

„80.000 Shots“. Regie: Manfred Walther. Deutschland 2002, 55 Min.

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