: Wim Duisenberg geht vorzeitig
Der Präsident der Europäischen Zentralbank beugt sich dem Druck und geht drei Jahre vor Ende seiner offiziellen Amtszeit. Nun kann Frankreich einen Nachfolger suchen – und hat ein Problem damit. Auswirkungen des Wechsels auf den Euro unklar
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Der 68. Geburtstag, so hat Zentralbankchef Wim Duisenberg beschlossen, sei ein guter Tag, um den aufreibenden Posten als oberster Währungshüter in Euroland aufzugeben. Und Maastricht sei – exakt zehn Jahre nachdem dort der Europäische Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion unterzeichnet wurde – der rechte Ort zur rechten Zeit, um diese Entscheidung der Öffentlichkeit mitzuteilen. Deshalb wählte er die gestern ausnahmsweise nach Maastricht verlegte turnusmäßige Sitzung des Zentralbankrats, um die Spekulationen um einen möglichen Rücktrittstermin zu beenden: Willem Frederik Duisenberg geht am 9. Juli 2003.
Mit so viel Symbolik will der als unkonventioneller Querkopf bekannte Duisenberg vor allem eines deutlich machen: Dass über seine berufliche Zukunft er selbst entscheidet und nicht Jacques Chirac. Denn die Franzosen hatten 1998 der Wahl Duisenbergs im Europäischen Rat nur unter der Bedingung zugestimmt, dass er zur Halbzeit „aus Altersgründen“ zurücktrete und seinen Sessel für einen französischen Nachfolger freimache.
An diesen mündlichen Deal der Staatschefs fühlte sich der Holländer, der als Symbolfigur für eine unabhängige Rolle der Europäischen Zentralbank gelten kann, nicht gebunden. Er werde nicht die volle Amtszeit von acht Jahren in Frankfurt bleiben – doch wann er gehe, entscheide er allein, antwortete Duisenberg auf drängende Journalistenfragen in den vergangenen Jahren immer wieder. Nun, da das Datum endlich auf dem Tisch liegt, wird das Rätselraten dennoch weitergehen: Bedeutet diese Ankündigung noch rechtzeitig vor den Wahlen in Frankreich eine freundliche Geste gegenüber Chirac oder eine ganz besondere Gemeinheit? Vieles spricht dafür, dass der Fuchs Duisenberg den Zeitpunkt genau so gewählt hat, um auf der anderen Rheinseite ein bisschen Unruhe zu stiften. Denn sein Stellvertreter, der Franzose Christian Noyer, scheidet schon diesen Mai turnusmäßig aus dem Direktorium der Zentralbank aus. Außerdem ist seit Anfang Februar klar, dass der französische Favorit für den EZB-Chefposten in Paris einen Prozess am Hals hat – Jean-Claude Trichet wird vorgeworfen, Bilanzfälschungen bei der früheren Staatsbank Crédit Lyonnais in seiner Amtszeit als Leiter des Schatzamts nicht unterbunden zu haben.
Frankreich hat nun die Wahl zwischen zwei wenig attraktiven Varianten: Es kann darauf drängen, den Posten des Vizechefs wieder mit einem Franzosen zu besetzen. Dann wird der Nachfolger von Duisenberg im Juli 2003 aber ganz sicher kein Franzose. Oder es kann den Platz im Direktorium aufgeben und darauf hoffen, im Gegenzug Trichet nächstes Jahr an die Spitze der EZB zu hieven. Scheitert dieser Plan, bleibt Frankreich ganz ohne Sitz und Stimme im Direktorium.
Dem Euro, dessen Stabilität und historische Bedeutung Duisenberg gestern in Maastricht beschwor, wird diese Unsicherheit nicht gut bekommen. Zwar betonte der Währungshüter, die Aussichten für die Eurozone seien angesichts einer leicht erholten Konjunktur günstig. Die hohe Inflationsrate sei auf das extrem kalte Wetter und die dadurch gestiegenen Lebensmittelpreise zurückzuführen. Sollten die kommenden Tarifabschlüsse maßvoll ausfallen, könne die Gesamtinflation des laufenden Jahres unter zwei Prozent liegen.
Ob sich die Finanzmärkte von diesen warmen Worten einlullen lassen, ist aber fraglich. Die ungeklärte Duisenbergnachfolge und die Spekulationen über eine Lockerung des Stabilitätspakts werden weiter für Unruhe sorgen. Dass der blaue Brief der EU-Kommission an die Adresse des deutschen Finanzministers nicht mit einer konkreten Empfehlung verbunden ist, empfindet Duisenberg aber nicht als problematisch. Die erste Stufe des Frühwarnsystems müsse keine Vorschläge enthalten, wie die Finanzpolitik des gerüffelten Landes zu verbessern sei, sagte er gestern in Maastricht. Sollten die Finanzminister kommenden Dienstag in Brüssel beschließen, den Brief an Deutschland gar nicht abzuschicken, sei auch das kein Drama. Er habe seine Wirkung schon jetzt entfaltet.
Ob Duisenberg sich vorstellen könne, auf französische Bitten auch schon vor dem 9. Juli 2003 zurückzutreten, wurde er am Ende gefragt. Mit der Antwort hatte der Fuchs Duisenberg die Lacher wieder auf seiner Seite: „Falls es im Interesse eines glatten Übergangs liegt, so habe ich dem amtierenden Ratspräsidenten Aznar mitgeteilt, bin ich bereit – noch etwas länger im Amt zu bleiben.
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