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Wiener Entparteipolitisierungsoperette

Die ÖVP-FPÖ-Koalition räumt im österreichischen Rundfunk auf. Qualität ist, wenn Haider sich selbst interviewt

WIEN taz ■ Entparteipolitisierung heißt das Schlagwort, unter dem Österreichs Wenderegierung ihre Rundfunkreform verkauft. Gestern ließ die neue Generaldirektorin Monika Lindner ihr neues Team durch den Stiftungsrat absegnen. Zufällig kommt die neue Führungsriege der Wunschliste der Regierungsparteien ziemlich nahe. Der neue Informationsdirektor Gerhard Draxler versuchte, Befürchtungen hinsichtlich der zukünftigen Berichterstattung auszuräumen: „Die ORF-Information ist ganz sicher keine Kampforganisation gegen irgendeine Partei oder Interessengruppe oder Einzelperson“, sagte er.

Schließlich wurde der bisherige Chef des Studios Kärnten von Jörg Haider vorgeschlagen und hat sich unter anderem dadurch qualifiziert, dass er ein von Haider mit sich selbst geführtes Interview am Ground Zero in Manhattan in die Nachrichten drückte. Programmdirektor wird der ÖVP-Mann Reinhard Scolik, Hörfunkdirektor der ebenfalls ÖVP-nahe Kurt Rammerstorfer. Als Zugeständnis an die SPÖ darf Alexander Wrabetz kaufmännischer Direktor bleiben. Zwei Posten im Topmanagement bleiben bis März frei: der Online-Direktor, der für den Teletext zuständig ist, und der technische Direktor. Die FPÖ drängte auf Nominierung des derzeitigen Balkan-Korrespondenten Christian Wehrschütz, ehemaliger Major des Heeresnachrichtenamts und FPÖ-Sympathisant.

Der ORF ist seit Dezember eine Stiftung öffentlichen Rechts. Deswegen heißt sein Kuratorium jetzt Stiftungsrat. Früher saßen dort von den Parteien entsandte Persönlichkeiten neben Vertretern von Kirche, Wirtschaft, Publikumsrat und Interessengruppen. Die Parteien müssen jetzt draußen bleiben. Merkwürdig ist allerdings, dass sich die Mitglieder des entpolitisierten Stiftungsrates in informellen Fraktionen beraten, die als „Freunde von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel“, „Freunde von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer“ und „Freunde Jörg Haiders“ identifiziert werden.

Dass im Dezember bei der Bestellung des Generaldirektors, der den bisherigen Generalintendanten ersetzt, die Wahl ausgerechnet auf Schüssels Wunschkandidatin Monika Lindner fiel, überraschte niemanden. Die ehemalige Landesintendantin des Studios Niederösterreich und enge Vertraute von Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) soll sich dadurch für den Job qualifiziert haben, dass sie die Wunschliste der FPÖ für die Besetzung der Leitungsposten voll akzeptierte. RALF LEONHARD

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