: Der Verlust jeglicher Sicherheit
■ Tödliche Männergesellschaft, hervorragend inszeniert: Dimitri Schostakowitschs „Lady Mcbeth von Mzensk“ am Goetheplatz
Erneut ist von einem Opernereignis am Bremer Theater zu berichten: ein Muss für jeden Opernfreund und für alle Interessierten an der Musik des 20. Jahrhunderts. Dimitri Schostakowitschs geniales Früh- und Schmerzenswerk „Lady Mcbeth von Mzensk“ erlebte eine kongeniale szenische und musikalische Realisierung durch Konstanze Lauterbach und Graham Jackson.
Nach ihrer Uraufführung 1934 in Leningrad wurde die Oper mit zumindest für ein neues Werk beispiellosem Erfolg über zweihundert Mal in aller Welt gespielt. In Russland ließ Stalin 1936 die Aufführungen verbieten, sein berühmtes Verdikt lautete: „Das ist keine Musik, das ist Chaos“. Schostakowitsch macht in seinem Werk nach der Novelle von Nikolai Leskov – der allerdings Katerina anders sieht – die Zustände der Gesellschaft verantwortlich für die Morde der jungen Katerina Ismailowa: „Ihre Morde sind ein Protest gegen das Leben, das sie führen muss“, sagt der Komponist. „Sie handelt aus Notwehr“, sagt auch die Regisseurin Konstanze Lauterbach. Aus Notwehr vergiftet Katerina ihren ihr nachstellenden Schwiegervater, aus Notwehr ersticht ihr Liebhaber Sergej ihren überraschend zurücckommenden Ehemann und aus Notwehr ertränkt sie die neue Geliebte Sergejs. Mit geradezu leidenschaftlicher Akribie arbeitet Lauterbach diesen Punkt heraus und entwirft für die tödliche Männergesellschaft eine solche Fülle von realistischen Details, dass man kaum folgen kann.
Es zeichnet diese dynamische und in diesem Sinne brillante Inszenierung ganz besonders aus, wie sehr sie aus dem drängenden, erbarmungslos wilden Tempo der Musik lebt, wie sie aber gleichzeitig mit großer Sensibilität auf Schostakowitschs „Stilbrüche“ achtet, als da sind Satire, Komik, folkloristische und tänzerische Elemente. Lauterbach erliegt nicht der Verführung, ein russisches Sittengemälde zu erstellen, sondern aktualisiert die Geschichte in dem geschickt multifunktionalen Bühnenbild von Helmut Stürmer auf Grundsätzliches zwischen Männern und Frauen, auf Grundsätzliches der Triebe, der Sehnsucht, des Egoismus, der Macht.
Selbst das Schlussbild, der Zug der ZwangsarbeiterInnen nach Sibirien, zeigt keinerlei historische Einordnung. Eher handelt es sich um die geschlossene Abteilung einer Nervenheilanstalt, jedes Chormitglied ist hier mit einer persönlichen Rolle ausgezeichnet: die einen schaukeln mit ihren Kissen, andere verzerren ihre Mimik, wieder andere traumwandeln mit seltsamen Gesten durch die Szene. Da gibt es natürlich auch keinen reißenden Fluss, in den die neue Geliebte hineingestürzt werden kann, da gibt es nur einen Wasserstrahl von oben: ein genialer Einfall von unglaublicher und vitaler Kraft.
In Vlatka Orsanic hat Lauterbach eine Hauptdarstellerin, deren Gestaltung der Riesenpartie keine Wünsche offen lässt: eine Frau, besessen von der Sehnsucht nach Liebe, tobt sozusagen durch die starre und brutale Welt der Männer. Im Arm hat sie einen Rosenstrauch, den sie immer wieder gießt. Er ist als Gegenstand ihrer Liebe und Zuwendung zunächst das einzige verlässliche Element, wird aber dann in einem Crescendo ohnegleichen zerfetzt als Zeichen für den Verlust jeglicher Sicherheiten.
Die Repräsentanten der brutalen und doppelmoralischen Männerwelt sind in erster Linie der Knecht Sergej, der für Bruce Rankin – gerade als Don José an die Bremer Oper zurückgekehrt – erneut eine vielschichtige Paraderolle bietet: makellos sein Gesang in den lyrischen und heldischen Anteilen, überragend sein Spiel. Das gilt auch für Hannu Niemeläs als Schwiegervater Boris. Alle drei sind Singschauspieler, die höchsten Ansprüchen gerecht werden.
Die „Bremer Philharmoniker“, wie das Orchester nun bald heißen wird, wirkten an diesem Abend ungemein gelöst. Graham Jackson hatte für den erkrankten Günter Neuhold das Dirigat übernommen und führte die Premiere zu einem umjubelten Erfolg: selten so souverän gehört die solistischen Bläserfarben, so wild und explosiv die Schlagzeugattacken, so betörend die Streicher. Prognose: Die vielen „Ausverkauft“-Stempel auf dem Spielplan an der Kasse dürften ein neues Objekt haben.
Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Aufführungen: 12.2., 17.2. (ausnahmsweise 15.30 Uhr), 21., 23. und 27.2.
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