: Himmlischer Zorn, irdische Sabotage?
■ An 4,8 Tonnen Eisen scheiterte die Premiere der „Goldberg-Variationen“ in Bremerhaven: Der Metallvorhang streikte. Schon vorher gab es Ärger wegen Nazischmierereien – und angeblicher „Gotteslästerung“
War es ein Wink des Himmels oder nur eine technische Panne? Die Premiere von George Taboris sarkastischem Bibel-Drama „Goldberg-Variationen“ im Stadttheater Bremerhaven platzte am Samstagabend buchstäblich in letzter Minute.
Kurz nach dem geplanten Beginn trat Intendant Peter Grisebach vor den fast ausverkauften Saal des Großen Hauses: Es sei nie gut, wenn Minderheiten mit radikalen Mitteln verhinderten, dass sich die Mehrheit eine eigene Meinung bilden könne. Tabori habe eine „zutiefst persönliche und religiöse Botschaft“, die nach vielerlei Provokationen am Ende spürbar werde. „Ich würde mir wünschen, dass sich niemand diesen wunderbaren Augenblick der Erkenntnis entgehen läßt, aber ich muss die Vorstellung leider absagen.“ Grund: Der eiserne Brandschutz-Vorhang lässt sich nicht heben. Eine „technische Fehlschaltung“, sagt der Intendant. Aber mit seinen Worten hatte er die Gerüchteküche mächtig angeheizt.
In den Tagen vor der Premiere hatte die „Freie Christengemeinde Bremerhaven“ die Absetzung des Stückes gefordert, in dem der große alte Mann des europäischen Theaters mit heiligem Zorn und mit der Leidenschaft des Spötters die Bibel gegen den Strich liest (die taz berichtete). Die braven Gotteskrieger schimpften: Das Stück sei „verächtlich, schlüpfrig, gotteslästerlich“, es ziehe „alles in den Dreck, was der Kirche heilig ist“, es sei eine „Zumutung für jeden Juden und jeden Christen in unserer Stadt“ und dürfte besser „im hiesigen Rotlichtviertel Beifall finden.“
Zeitgleich wurden Schmierereien auf Kulissenteilen der Goldberg-Produktion entdeckt. Ein Barockengel war mit einem Hitlerbärtchen verziert worden, auf einer Kulissen-Rückseite hieß es: „Scheißberg-Variationen“. Zu der schlichten Titel-Variante hat sich inzwischen ein Mitarbeiter aus der Technik bekannt, zum Hitlerbärtchen ermittelt die Kripo. Dass der selbstherrliche Regie-Gott Mr. Jay und sein devoter Prügelknabe Goldberg ihr bissiges Spiel um und mit biblischen Geschichten – von Adam und Eva bis zur Kreuzigung – nicht termingerecht beginnen konnten, ließ Teile des Premierenpublikums wenn nicht gleich himmlischen Zorn, so doch irdische Sabotage vermuten.
Alfons Tallert, Kulturdezernent in den 50er und 60er Jahren, und unermüdlicher Premierenbesucher seit einem halben Jahrhundert, kann sich an einen vergleichbaren Vorfall nicht erinnern. Eine alte Dame, langjährige Theatergängerin, steht vor dem Theatergebäude und fragt besorgt: „Geht es schon wieder los?“ Sie hat einen Brief in der Hand, in dem sie sich beim Regisseur Wolfgang Hofmann persönlich für den Mut des Ensembles bedankt, dieses Stück zu zeigen. Jürgen Ahlf, Verwaltungsdirektor des Stadttheaters, beschränkt sich auf technische Erläuterungen.
Der 4,8 Tonnen schwere Eiserne Vorhang sei dank der neuen High-Tech-Anlage nicht mehr von Hand zu bedienen. Er wird generell vor jeder Vorstellung probehalber runtergefahren. Diesmal blieb er unten. Nicht nur Taboris Gott muss warten, auch die Kinder, die am Sonntagmorgen bunt kostümiert zum Karnevalskonzert eintrudeln, werden vertröstet. Das Städtische Orchester kann hinter dem Eisernen Vorhang nicht auftreten. Inzwischen ist die Fehlerquelle gefunden: Versagt hat nicht die Bühnentechnik, sondern eine spezielle Hydraulikpumpe, die zur Geräuschvermeidung in 600 Liter Öl schwimmt. Um an sie heranzukommen, so Ralf Zwirlein, der technische Leiter des Theaters, müsse der ganze Ölbehälter ausgelöffelt werden. Zu der Reparatur sei keine Firma im Bremer Umkreis in der Lage. Der Hersteller in Hamburg habe aber keinen Notdienst. Erst am Sonntagvormittag habe man dort zufällig jemanden erreicht und hoffe auf schnellstmögliche Hilfe.
Sabotage schließt Zwirlein „mit hundertprozentiger Sicherheit“ aus. An die Spezialpumpe im oberen Bereich des Bühnenturms „kommt wirklich niemand ran“. Die „Freien Christen“ werden frohlocken: Gott braucht für seine zornigen Zeichen keine Saboteure. Hans Happel
Die Premiere im Bremerhavener Stadttheater ist auf Dienstag, 20.00 Uhr, verschoben. . Informationen unter Tel.: (0471) 48 20 60
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