: Wie knackt man den Stabilitätspakt?
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
1. Betonen Sie die historische Dimension
Erinnern Sie, Herr Bundeskanzler, an den Maastricht-Vertrag, der vor zehn Jahren die europäische Einheitswährung begründete. Theo Waigel als Hüter der D-Mark, Helmut Kohl als Vater des Dubliner Wachstums- und Stabilitätspakts … Damit schmeicheln Sie als Sozialdemokrat den Patrioten unter den Wählern und schaffen doch unmissverständlich Distanz.
2. Rechnen Sie geschickt
Sie kennen doch den Witz von dem deutschen Beamten, der bei geschickter Verrechnung aller Urlaubstage, Überstunden und Feiertage genau zwölf Tage im Jahr arbeitet – die braucht er ja auch, um einmal im Monat sein Gehalt abzuholen. Nach gleichem Muster wird derzeit im Hause Eichel gerechnet. Mitte Januar war von wirtschaftlicher Belebung die Rede. Doch auch für den Fall, dass das Wachstum nur 0,75 Prozent betrage, werde Deutschland die rote Linie von 3 Prozent Neuverschuldung nicht überschreiten. Letzte Woche lautete die Prognose 0,7 Prozent. Das Defizit werde dennoch 2,5 Prozent nicht übersteigen, betonte Eichel in Berlin.
3. Machen Sie es wie beim „Tatort“-Verhör: Spielen Sie Good-Guy-Bad-Guy
Sie erinnern sich vielleicht: Vorletzten Sonntag saß ein sehr sanfter Hans Eichel bei Sabine Christiansen. Unter den Augen der Nation lobte er den geplanten blauen Brief aus Brüssel und wies milde darauf hin, dass Währungskommissar Pedro Solbes die finanzpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ausdrücklich gutgeheißen habe. Aus Sicht der Kommission seien die Schuldenmacher in den Landesregierungen und den Krankenversicherungssystemen an dem Debakel schuld. Diese Überzeugung teile er, Hans Eichel, voll und ganz. So weit der Auftritt des Good Guy. Kurz darauf wetterte der Kanzler los: Gegen die in Brüssel, die ausgerechnet die sparsamen Deutschen zur Ordnung rufen wollen. Man werde, so drohte der Bad Guy, einen solchen Rüffel keinesfalls hinnehmen.
4. Heizen Sie Verschwörungstheorien an
Lassen Sie Ihre „Umgebung“ oder „Diplomaten“, vielleicht auch „Kreise“ öfter mal laut nachdenken. Warum, so könnten Sie zum Beispiel in aller Unschuld fragen lassen, warum ist ausgerechnet der flügellahme Kommissionspräsident Prodi so scharf darauf, Deutschland eine Rüge zu verpassen? Ist doch ganz klar! Prodi und sein Haushaltskommissar Solbes haben nur einen Anlass gesucht, um von eigenen Schwachpunkten abzulenken. Auf deutsche Kosten würden sie Führungsstärke demonstrieren!
5. Spannen Sie „unseren Mann in Brüssel“ ein
Günter Verheugen steht ja normalerweise in Treue fest zu seiner EU-Kommission. Aber außergewöhnliche Ereignisse verlangen auch außergewöhnliche Maßnahmen. Natürlich können Sie in einer solchen Situation verlangen, dass der SPD-Mann Verheugen ein paar kritische Bemerkungen über seinen Kollegen Solbes und die Entscheidung der EU-Kommission fallen lässt. Das tut der auch brav. Wenn er sich hinterher von Romano Prodi abwatschen lassen muss, weil er das Kollegialitätsprinzip nicht gewahrt habe, ist das halt Pech. Von einem altgedienten Parteisoldaten muss so viel Leidensfähigkeit erwartet werden können.
6. Suchen Sie Verbündete – schließlich sitzen wir alle in einem Boot
Gegenüber den Freunden in der EU müssen Sie nur eine Botschaft loswerden: Was Deutschland jetzt passiert ist, kann morgen jedem passieren. Beim britischen Schatzmeister Gordon Brown ist die Warnung schon angekommen. Am letzten Freitag sagte er am Telefon zu Hans Eichel, er werde Deutschland darin unterstützen, einen blauen Brief aus Brüssel zu vermeiden. Großbritannien habe stets für eine „kluge Interpretation“ des Stabilitätspakts plädiert, die den Konjunkturzyklus berücksichtigen müsse. Die ebenfalls gerügten Portugal und Luxemburg wollen auch nicht für den Brief stimmen. Wenn Frankreich noch ins Boot kommt, reicht das locker für eine Sperrminorität bei den Finanzministern.
7. Machen Sie sich die chaotischen EU-Verträge zu Nutze.
Mal ganz ehrlich: Wer weiß schon, dass die Bedingungen für das Frühwarnsystem, nach dem Deutschland jetzt gerügt werden soll, in der Ratsverordnung 1466/97 und 1467/97 festgelegt sind? Und zudem ist das Ganze ohne EG-Vertrag Artikel 104 (Ex-Artikel 104c) in der Fassung vom 2. Oktober 1997 sowieso nicht zu verstehen. Dieses Vertragschaos können Sie sich trefflich zu Nutze machen. Was der Kanzler auch tut: „Wir müssen uns mit einer Meinung der Kommission auseinander setzen, von der ich glaube, dass sie mit dem Stabilitätspakt so nicht zu begründen ist“, sagte er gestern dem Handelsblatt.
8. Vergleichen Sie Äpfel mit Birnen
Was die EU-Erweiterung und der blaue Brief aus Brüssel miteinander zu tun haben, wollen Sie wissen? Nichts natürlich. Trotzdem macht es Eindruck, wenn der Außenminister beim Treffen mit seinen Ratskollegen in Carceras sagt: Wenn die Erweiterung zu den Bedingungen stattfindet, die Günter Verheugen und seine Kommission ausgearbeitet haben, dann wird es für Deutschland so teuer, dass statt des blauen ein „roter Brief“ fällig werde. Nicht kapiert? Kann man auch nicht, klingt aber trotzdem gut.
9. Drohen Sie dem Gegner
Am besten geht das wieder mit Hilfe der „Kreise“, von denen vorhin die Rede war. Die streuten vergangene Woche in Brüssel folgendes Gerücht: Hätte sich die Kommission um einen Kompromiss mit Deutschland bemüht, hätte sie die nun im Rat drohende Blamage abwenden können. Sollte Währungskommissar Pedro Solbes angeschlagen aus dieser Sache herauskommen, sei es nicht Deutschlands Schuld. Auch dass Frankreich nun eine Grundsatzdebatte über die Frage vom Zaun bricht, ob der Stabilitätspakt überhaupt Sinn mache, hätte vermieden werden können.
10. Lancieren Sie Nachrichten
Frankreich also will den Pakt loswerden, streut die Bundesregierung. Warum eigentlich? So schlecht sind doch die französischen Wirtschaftsdaten gar nicht. Bevor aber jemand auf die Idee kommt, Deutschland stecke hinter der Diffamierungskampagne gegen den Wachstums- und Stabilitätspakt, sollte man die Flucht nach vorn antreten. Auf den Müllhaufen der Geschichte also mit der Verordnung 1467/97. Eins ist doch ohnehin klar: Es gibt nichts mehr, was zu stabilisieren sich lohnen würde, seit Otto Normalverbraucher statt der guten, harten D-Mark den weichen Euro im Portemonnaie hat.
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