: Krise im Krisenzentrum
Hilfsprojekt für Jugendliche radikal zusammengestrichen ■ Von Marco Carini
Es ist die Hauptanlaufstelle für heimatlose Strassenkinder und Strichjungen, die rund um den Hamburger Hauptbahnhof leben: das Krisenzentrum KIDS. Für knapp 400 Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, viele von ihnen obdachlos, drogenabhängig und als minderjährige Prostituierte unterwegs, geht es dabei oft erstmal nur um das Nötigste: eine warme Mahlzeit, trockene Kleidung, einen geschützten Schlafplatz und Rückzugsort. „Wir wollen den Jugendlichen den Ausstieg aus der Bahnhofsszene erleichtern“, so ein KIDS-Mitarbeiter.
Nun droht der Ausstieg aus dem Ausstieg: 95.000 Euro, satte zehn Prozent des Gesamtetats, werden dem KIDS von der Sozialbehörde im laufenden Jahr gekürzt. Auch die eng mit dem KIDS verbundene Wohneinrichtung für obdachlose Jugendliche „Statthaus“ muss jeden zehnten Euro einsparen. „Das ist ohne Entlassungen und eine drastische Einschränkung unseres Angebots nicht zu meistern“, befürchtet Thomas Nebel, Geschäftsführer des KIDS-Trägers Basis e.V.
Die Kürzung hat Methode: Der Sozialbehörde passt es nicht, dass das KIDS den Drogenkonsum seiner KlientInnen akzeptiert, um sie überhaupt erreichen zu können. „Wir wollen unsere knappen Mittel umsteuern: unser erstes Ziel ist, den Drogenausstieg zu ermöglichen“, begründet Behördensprecherin Anika Wichert den KIDS-Kahlschlag. Für Dieter Both von Basis e.V sind solche Vorgaben realitätsfremd: „Wir haben es mit jungen Menschen zu tun, die kein Vertauen zu Erwachsenen haben. Wer dieses Misstrauen langsam abbauen will, muss die Jugendlichen abholen, wo sie stehen, statt Druck auszuüben.“
Da KIDS und „Statthaus“ feste Kosten wie die Miete nicht reduzieren können, ist die Einsparung nur über Entlassungen zu bewerkstelligen. Drei von zwölf KIDS-Mitarbeitern müssen nun um ihren Job fürchten. Mit weniger Personal können es beide Einrichtungen nicht gewährleisten, fast rund um die Uhr geöffnet zu haben. Nebel: „Dann hängen die Jugendlichen draußen rum und stehen in Notsituationen, etwa bei Suizidgefährdung, vor verschlossenen Türen.“
„Statthaus“-Leiterin Anja Wild hält begrenzte Öffnungszeiten ihrer Einrichtung für praktisch unmöglich: „Gerade Crack-KonsumentInnen schlafen sich hier oft 30 Stunden am Stück aus. Die können wir doch nicht auf den Bürgersteig legen, weil wir mangels Personal für ein paar Stunden schließen.“
Besonders brutal: Die Kürzungen gelten rückwirkend seit Jahresanfang, obwohl MitarbeiterInnen nicht von heute auf morgen auf die Straße gesetzt werden können und die Bürgerschaft erst im April endgültig über die Sparpläne entscheidet. Doch jede Mark, die in den ers-ten Monaten des Jahres nicht eingespart werden konnte, muss bis Jahresende nachträglich erwirtschaftet werden.
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