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Toben und Trauern

■ Eine Idee greift um sich: Ins Waller Zentrum für trauernde Kinder kommen regelmäßig 25 Kinder aus Bremen, Oldenburg und Bassum zur Gruppenstunde

„Ich heiße Sofie und bin zehn Jahre. Mein Vater ist gestorben.“ Mit deutlichen Worten beginnen die Gruppenstunden für trauernde Kinder, die Beate Alefeld in den Räumen der Waller Erziehungsberatung leitet. Die Bremerin ist aus sprichwörtlicher Not zur Pionierin geworden. In ganz Bremen gibt es außer ihr niemanden, der für trauernde Kinder regelmäßig da ist. Und auch zu ihr kommen viele erst, wenn sich das Kind vor lauter Kummer besorgniserregend verändert hat.

Beate Alefeld wurde vor gut zwei Jahren zur Urheberin einer Bremer Gruppe, nach deren Muster sich derzeit auch andere im ganzen Bundesgebiet gründen. Zweiwöchentlich kommen jeden Freitag 25 Kinder zu ihr, manche sogar aus Bassum oder Oldenburg. Dann gilt: In den neunzig Minuten Spiel- und Redezeit ist nichts tabu. Unter ähnlich betroffenen Gleichaltrigen können die Kinder wie selbstverständlich loswerden, was sie oft sehr bedrückt: Der Verlust von Mutter, Vater, Schwester oder Bruder – und ganz oft das Gefühl, sich Trauer oder Wut möglichst wenig anmerken lassen zu dürfen, um die übrige Familie zu schützen. Wie auch die Familie die Folgen des Verlustes vor dem Kind meist kleinredet – weil eine neue Normalität her soll. Doch der Kummer, der sich hinter solchen Schweigemauern ausbreitet, kann die Restfamilien richtig versteinern, beobachtet Beate Alefeld. Dagegen soll das „Zentrum für trauernde Kinder“ helfen, in dem sie mittlerweile eine ABM-Stelle hat.

Lange Jahre hat die 42-Jährige als Erzieherin in einem Kinderheim gearbeitet. Die Trauerarbeit für Kinder hat sie in den USA gelernt. „Die Kinder machen sich hier auf ihren eigenen Weg“, so Beate Alefeld. Man müsse sie nur lassen. Mit mehreren Freiwilligen, die bei der Gruppenarbeit helfen, folgt sie also den Aktivitäten der Kinder während der Gruppenstunde – beim Malen, Sandkastenspielen oder Sandsackboxen. „So verarbeiten Kinder ihre Trauer. Wir machen nur mit und spiegeln, dass das, was sie machen, ok ist. Nur kleine Auflagen gibt es – wie die, dass Ge-schwisterkinder nicht gleichzeitig in den Toberaum mit Hängematte, Zelt und Sandsack dürfen. „Damit die Großen nicht dazwischenfunken, wenn die Kleinen ihre Sache machen.“ Oberstes Gebot ist zudem Verschwiegenheit – auch gegenüber Mutter, Vater oder Tante, die ja selbst trauern. „Sonst könnten die Kinder, die doch für die anderen Verantwortung übernehmen wollen, sich nicht frei bewegen.“ Für die Eltern hat sich unterdessen das Gespräch in der Küche bewährt.

„Bekannte fragen, wie ich das aushalte“, muss Beate Alefeld immer wieder über die irrige Annahme lachen, dass Kinder in der Ecke sitzen würden und weinen, wenn sie trauern. „Jedes Kind trauert doch anders“, sagt sie. Bestes Beispiel ist ihr jüngstes „Trauerkind“, das mit gerade Mal zwei Jahren weit unter dem Durchschnitt liegt. Doch der verwitwete Vater der Kleinen wusste nicht, wohin mit ihr, während der Gruppenzeit der älteren Schwester. Seither lässt sich die Kleine dort von den ehrenamtlichen Frauen auf den Armen spazieren tragen. „Und allen gefällt das“, sagt Alefeld.

Andere Kinder kommen oft über die Erziehungsberatung zur Trauergruppe. Bis dahin hat sich ihre Wut über den Verlust schon in allgemeiner Agressivität Luft gemacht. Andere ziehen sich völlig zurück. Aber alle leiden unter dem Gefühl, dass andere ihre Trauer ablehnen. Eine Erfahrung, die viele durchaus mit Gleichaltrigen machen: Der vaterlose Junge beispielsweise, der bei der Rangelei in der Kita verhöhnt wird: „Dann hol' doch deinen Papa.“ Und: „Ach, geht ja nicht, der ist ja tot!“ Eine Erfahrung, die Trauerkinder in der Gruppe besprechen können – wenn sie wollen. Oder mit Einzelnen. „Kinder schließen sich oft denen an, die ähnlich trauern“, sagt Alefeld. Sie sucht unterdessen wieder Ehrenamtliche, damit eine weitere Gruppe entstehen kann. „Wir haben Kinder auf der Warteliste. Das ist nicht schön.“ ede

Kontakt: Zentrum für trauernde Kinder e.V., in der Erziehungsberatungsstelle West, Elisabethstraße 135, Tel.: 0421-34 36 68.

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