Der Arschloch-Stil

Wes Anderson liefert mit „The Royal Tenenbaums“ (Wettbewerb) eine skurrile Geschichte um Wunderkinder

Ob „Die Buddenbrocks“ oder „The magnificient Ambersons“, Familienepen handeln meist von Zerfall und Niedergang. Das liegt in der Natur der bürgerlichen Erzähltradition, denn wie Tolstoi lehrte, sind sich alle glücklichen Familien sehr ähnlich, alle unglücklichen aber jeweils ganz verschieden, was einfach viel interessanter ist. In diesem Sinne hält sich Wes Anderson mit seinen „Royal Tenenbaums“ ganz an die Regeln der alten Schule, indem er seinem Film nicht nur die Aura einer Romanverfilmung verleiht, sondern ihn gleich wie ein Buch gestaltet: mit Prolog, einer Reihe von Kapiteln und einem allwissenden Erzähler.

Trotz literarischer Ambitionen sind die „Royal Tenenbaums“ natürlich alles andere als ernsthafte Lektüre, denn Anderson ist ein Regisseur vom Kaliber des Collegestudenten Max Fisher aus seinem vorigen Film „Rushmore“: ein Streber auf dem Gebiet der außerschulischen Tätigkeiten, der die Kernfächer gerne mal vernachlässigt. Dementsprechend dümpelt die Handlung die meiste Zeit seltsam unentschlossen vor sich hin, während das eigentlich Fesselnde an Andersons Film die vielen Details am Rande sind – der Einsatz nicht ganz so gängiger Popsongs, die Rolle diverser Haustiere, die sorgfältige Ausstattung des Hintergrunds, wo es immer etwas zu entdecken gibt.

Der eine Sohn ein Geschäftsgenie, der andere ein Tennis-Champion, die Tochter eine preisgekrönte Dramatikerin und das alles, bevor sie auch nur zu richtigen Teenagern herangewachsen sind – das sind die hoch begabten Tenenbaumkinder, die Vater Royal schon früh verlassen hat. Doch wie das so ist mit Junggenies, sie haben es später sehr schwer. So auch Chas, Richie und Margot. Als Erwachsene nämlich schreibt Margot keine Stücke mehr, sondern verbringt ihre Tage rauchend im Badezimmer, während Richie auf einem Ozeankreuzer das abrupte Ende seiner Tenniskarriere zu verschmerzen sucht und Chas nach dem Unfalltod seiner Frau mit den zwei kleinen Söhnen permanent Feueralarmübungen veranstaltet. Solchermaßen vom Leben gebeutelt, finden sie sich nach und nach wieder im Elternhaus ein, wohin als Letzter schließlich auch noch Vater Royal – mit einem gemeinen Trick – drängt.

Anstatt von Niedergang und Desintegration handelt Andersons Film also genau besehen vom Neu-Zusammenkommen – ohne allerdings den Grundton stoischer Melancholie je aufzugeben. Die Figuren seines skurrilen Panoptikums sind mit den gleich bleibenden Erkennungszeichen ausgestattet: So ist Gwyneth Paltrow als die heimlich rauchende Margot kaum wiederzuerkennen in Straßenköterblond und mit kajalumrandeten Augen. Ben Stiller als Chas kleidet sich und seine Söhne in Partnerlook-Trainingsanzüge, während Richie ganz am Ende immerhin sein ewiges Stirnband ablegen darf.

Andersons Flirt mit der Literatur schließt Anspielungen auf Irving und Salinger mit ein. In erster Linie aber bleibt er sich selbst und der Zusammenarbeit mit den Wilson-Brüdern treu, die er einst an der Universität in Texas traf: Owen Wilson hat wie immer am Drehbuch mitgewirkt und hier außerdem die Rolle des Eli Cash übernommen, des Nachbarsjungen, der zeitlebens davon träumt, ein Tenenbaum zu sein.

Die größte Entdeckung in den „Tenenbaums“ ist allerdings Gene Hackmann in der Rolle von Vater Royal. Egozentrisch, eitel, ein unsensibler Vater – „Man hat mich mein ganzes Leben für ein Arschloch gehalten, das ist einfach mein Stil“ –, erweist er sich beim heroischen Versuch, seine Familie zu retten, als genialer Komiker, der noch mit seiner Grabsteininschrift dem Zuschauer ein Schmunzeln abgewinnt.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„The Royal Tenenbaums“. Regie: Wes Anderson. USA 2001, 110 Min.