piwik no script img

Können wir einen Zeugen haben

Der Weg der Body-Art von der bildenden Kunst ins Theater hat dort auch die Rolle der Zuschauer verändert. Ein Diskussionsbeitrag zum Abschluss der Kampnagel-Reihe „Zeig mir dein Fleisch!“  ■ Von Florian Flug

Mit der Reihe „Zeig mir dein Fleisch“ auf Kampnagel werden Künstler vorgestellt, die den eigenen Körper in besonderer Weise ins Zentrum ihrer Arbeiten stellen. Zu sehen sind Verletzungen, echtes Blut, das Publikum wird konfrontiert mit provozierend sexualisierten Körpern und einbezogen in Spiele um Dominanz und Erniedrigung. Ist das „The Real Thing“ nach dem Spiel mit der Authentizität im Theater der 90er? Jedenfalls ist es eine neue Welle, die da von den Ufern der Performancekunst auf die Deiche des Theaters zurollt.

Zu Beginn der 70er Jahre behaupten bildende Künstler wie Chris Burden, Vito Acconci, Gina Pane den eigenen Körper als Ausgangsmaterial ihrer Arbeiten. Auch wenn der eigene Körper beschossen oder unter dem künstlichen zweiten Boden einer Gallerie über Stunden hinweg masturbiert wird, sprechen diese Künstler von skulpturalen Arbeiten, von Body-Works. Der Begriff der dauerhaften, ausstellbaren Skulptur wird in Frage gestellt: Diese Arbeiten sind temporär und momenthaft. Aus diesen Body-Works entsteht wiederum eine spezialisierte Form der Performancekunst: die Body-Art.

Wahrgenommen werden ihre Arbeiten, wie die Performances ihrer Vorgänger aus dem Kreis der Wiener Aktionisten oder Happenings, vornehmlich als Exzess einiger weniger Verrückter. Das sollte sich aber ändern. In der Folgezeit wird der Einsatz des eigenen Körpers bis an die Grenzen seiner physischen Verletzbarkeit bei Performern wie beispielsweise Wolfgang Flatz, Marina Abramovic und Ulay, Boris Nieslony zum Markenzeichen engagierter Performancekunst. Letztes Risiko, voller Einsatz, selbst der Tod des Performers scheint möglich.

Die erzeugten Extremsituationen verlangen dem Zuschauer ab, sich zu entscheiden: Soll man einschreiten und Schlimmeres verhindern? Will man das überhaupt sehen, kann man das ertragen? Die extreme Behandlung des Körpers garantiert ihnen die ultimative Au-thentizität der Aktion. Darüber hi-naus ist der Körper aber auch Austragungsort eines vorgeführten gewaltsamen Zusammenstoßes zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen, verschiedene Körperkonzepte werden also durchaus inszeniert.

Einen besonderen Weg gehen Künstler wie Stelarc und Orlan, die prominentesten, die Mad Scientists unter den Performancekünstlern. Der Körper wird zum Objekt experimenteller Wissenschaft. Stelarc erweitert seinen Körper mit kybernetischen Objekten wie einem dritten Arm, und Orlan verändert ihr Aussehen seit Jahren mit immer neuen kosmetischen Operationen. Mittlerweile ist die Body-Art fester Bestandteil der internationalen Kunstszene. Und was tut sich im Theater?

Mit Beginn der 90er Jahre finden einige Performancekünstler wie Marina Abramovic und Ron Athey Aufnahme in etwas experimenteller ausgerichteten Theatern. Von der anderen Seite her werden in den Shows von Theatermachern wie Reza Abdou oder bei den Extremsportlern der kanadischen Tanz Kompagnie LaLaLa Human Steps die Körper der Darsteller bis an ihre physischen Grenzen belastet. Die ehemals behauptete Authentizität ist endgültig angekommen im Reich der Repräsentation. Denn die Performer setzen meist langjährig ausgebildete Fähigkeiten auf dem Gebiet der Selbstverletzung für genau geplante Effekte beim Zuschauer ein. Für die Rezeption werden dabei Begriffe wie psychologische Einfühlung oder Kontemplation obsolet.

Schon zuvor wurde der hinter der vierten Wand verborgene, voyeurhafte Zuschauer tendenziell abgelöst vom Theater-Fan, der durch ähnliche Erfahrungen und gemeinsame Geschichten dem Geschehen auf der Bühne verbunden ist. Doch von den Body-Works wird der Zuschauer noch weiter in das Geschehen hineingezogen und als Zeuge quasi zum Mittäter – mindestens zum notwendigerweise Beteiligten.

Markus Weßendorf beschreibt zwei struktural verschiedene Möglichkeiten der Rezeption, die aus dieser veränderten Beziehung von Zuschauer und Performer resultieren (Vortrag „Bodies in Pain“, Montreal, Mai 1995). Die physische Erniedrigung bis zur Verletzung des Körpers sei als Zerstörung des Ego als sozialer Struktur zu betrachten, und werde als angenehm unangenehmes Erlebnis erfahren. Wird sie dargestellt, findet also keine tatsächliche physische Verletzung statt, kommt dem Zeugen eine besondere Bedeutung zu. Erst er ermöglicht dem Performer im Wechselspiel von Dominanz und Erniedrigung das Erleben dieser angenehm unangenehmen Erfahrung. Performer und Zuschauer-Zeuge können sie als Komplizen teilen.

Bei der tatsächlichen Verletzung des Performers dagegen ist die Trennung der Erfahrung bei Performer und Zuschauer unüberwindlich: Der Zuschauer kann lediglich anhand der Spuren wie Wunden, Piercings oder Narben eine Erfahrung zu rekonstruieren. Was sich aber in beiden Fällen etabliert, ist ein quasi sadomasochistischer Vertrag zwischen Performer und Zuschauer. – Und ist das alles jetzt noch Theater? Ja, und zwar Theater, dem man sich im besten Fall nicht so leicht entziehen kann. Ein Theater, das den Zeugen auch zum Mittäter macht.

noch dieses Wochenende: Sioned Huws, heute + morgen, 20 Uhr; Kongress „Körper und Kapital“, heute ab 15 Uhr und morgen ab 11 Uhr, Kampnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen