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Igitt-Worte und ungehörte Argumente

Jugend- und Sozialprojekte fordern fachliche Debatte über die Kürzungen  ■ Von Kaija Kutter

Zur Zeit jagt eine Schreckensmeldung die nächste. Gestern wurde bekannt, dass auch das Kinderschutzzentrum in der Emilienstraße zehn Prozent seiner Mittel kürzen muß. Schon ein paar Tage alt ist der Hilfeschrei der Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt: Zornrot, Zündfunke, Allereirauh und die Dollen Deerns, vier Projekte, die von Bergedorf bis Othmarschen übers Stadtgebiet verteilt sind, müssen auf ein Zehntel des Etats verzichten. Begründung: Sie sollen „Synergie-Effekte“ nutzen.

„Wenn man sich anguckt, welche Zielgruppen wir haben, geht das nicht“, sagt Claudia Zampolin von Allerleirauh. Ihre Beratungsstelle ist für Mädchen ab 13 und junge Frauen bis 27 da. Zornrot und Zündfunke dagegen bieten Therapie und Beratung für Kinder an. Auch gehe die Nachfrage nach Beratung keinesfalls zurück: „Wir erfahren von immer mehr Fällen.“

Ungehörte Argumente, wie sie auch weitere von Kürzungen betroffene Projekte zu bieten haben. Das „Studentische Jugendprogramm“ (SJP) soll, ohne gehört zu werden, beendet werden. „Durch uns arbeiten 57 Studenten für wenig Geld in sozialen Brennpunkten“, berichtet Mitarbeiter Govanni Bonaccurso. Sie helfen in Steilshoop, Neu-Allermöhe, Lohbrügge, Horn, Billstedt und St. Pauli. Eine Unterstützung, die personell ausgebluteten Jugendtreffs „dringend brauchen“, wie Sabine Kohlhof vom „Verband für offene Kinder- und Jugendarbeit“ betont. Bei der Sozialbehörde bekam das SJP bis heute nicht mal einen Termin.

„Da gibt es nichts mehr zu diskutieren“, wurde dem Mädchenprojekt Dolle Deerns gesagt, das sein zweites Standbein, die „Kontaktstelle für feministische Mädchenarbeit“ halbieren soll. Begründung: Sie hätten so gut gearbeitet, dass sie nicht mehr nötig wären. Dolle Deerns-Mitarbeiterin Marja Evers glaubt vielmehr an die umgekehrte Intention: „Es ist nicht mehr erwünscht, dass wir die Mädchen stärken. Das passt nicht zum neuen Familienbild.“ Sie sei vom Amt aufgefordert worden, eine neue Leistungsbeschreibung zu erstellen. „'Feministisch' gehört wohl zu den neuen Igitt-Worten, die darin nicht mehr vorkommen dürfen.“

Eine Reihe von „Verbotsworten“ hat auch Dieter Both vom KIDs-Projekt am Hauptbahnhof ausgemacht. Begriffe wie „niedrigschwellig“ und „akzeptierende Arbeit“ gehörten inzwischen auf den Index. Both: „Das Problem ist, dass diesen Vorgaben jede fachliche Begründung fehlt. Und wenn doch eine kommt, ist sie haarsträubend.“

„Sie kürzen, ohne zu wissen, was sie machen“, kritisiert auch Kohlhof, die nun die fachliche Debatte einfordern will. So sind alle Jugendpolitiker, die die Frage der geschlossenen Heime „fachlich durchdacht“ haben, dagegen – quer durch die Parteien. „Was bringt die neue Regierung der Jugendhilfe?“, ist der Titel einer Podiumsdiskussion, zu der am 26. Februar auch Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) eingeladen ist. Ob sie kommt, ist noch offen.

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