Nicht ohne meine Mutter

Der Weg durch den Tunnel wird zu einer Zeitachse: Im Künstlerhaus Bethanien zeigt der belgische Künstler Philip Huyghe Videos, Wollknäule, messerscharfe Tortendeckchen

Wie kommt ein Bildhauer dazu, sich als Double seiner Mutter zu verkleiden und mit ihr Fahrrad zu fahren und Walzer zu tanzen? Philipe Huyghe aus Antwerpen hält eine verblüffende Antwort parat: Über die Welt der Objekte sei mit Duchamps bereits so ziemlich alles gesagt. Bleibe also nur die Kategorie der Zeit als herausfordendes Thema für einen bildenden Künstler.

Man könnte es auch die Angst vor dem Altern nennen, der Huyghe, Stipendiat im Künstlerhaus Bethanien, entschlossen ins Auge blickt in seiner Ausstellung „East Mother – West Mother“. Werde ich jetzt schon so wie meine Mutter, ist eine Frage, die sich so manchem zwischen 30 und 40 aufgedrängt hat und schnell wieder zurückgeschoben wurde. Alles, was an Ängsten, Bedürfnissen der Abgrenzung und vielleicht auch an Liebe darin mitschwingt, agiert Huyghe, 1959 geboren, seit vier, fünf Jahren in seinen Videos aus.

In „Fistula“, Teil einer Trilogie, die im Bethanien nur auf kleinen Monitoren zu sehen ist, sitzt er im Rollstuhl und wird von seiner Mutter durch einen langen Tunnel geschoben. Mit fährt ein Papagei, der mit computertechnisch verfremdeter Stimme das letzte Gedicht von Edgar Allan Poe aufsagt. Im Hall des Tunnels ist nicht viel zu verstehen, aber die Stimme, die sich immer wieder entfernt, verstärkt das Gefühl, sich nicht mehr in der Gegenwart zu befinden. Huyghe trägt Perücke und eine Maske, in der seine Gesichtszüge mit denen seiner Mutter verschmelzen. Der Weg durch den Tunnel wird zu einer Zeitachse, auf der sich Zukunft und Vergangenheit begegnen: Denn die Situation im Rollstuhl nimmt einerseits die Zeiten vorweg, in denen das Alter mit den Zeichen der Hinfälligkeit nach Mutter und Sohn greifen wird, und blendet andererseits in die Kindheit zurück. So hat sich in diesem Bild das Gefüge der Abhängigkeit mehrmals verschoben.

Mütter helfen ja immer gerne, und Madame Huyghe nahm das Angebot ihres Sohnes zur Zusammenarbeit unbeschwert an. Sie schleppte nicht den ganzen Ballast der Geschichte und des Kunstbetriebes mit, den die meisten Ausstellungsbesucher gleich aus ihrem Gedächtnis hervorkramen. „Dachten Sie dabei an den Film „Psycho“ von Hitchcock, Monsieur Huyghe?“ Aber nein. „Haben Sie von Einar Schleef seinen Roman „Gertrud“ über seine Mutter gelesen?“ Der Künstler seufzt und verweist auf einen Essay von Knut Ebeling in Huyghes Buch „Supersymmetrie“ über den Gebrauch, den Georges Bataille von seiner Mutter gemacht hat.

Eine zweite Arbeit mit Videobildern der Erinnerung flimmert in einem altmodischen Schrank. Die gekurvten Außenseiten sind aus Metall geschnitten; unten schiebt sich eine Schublade langsam auf den Betrachter zu wie ein Sarg, in dem man gräss liche Geheimnisse zu entdecken befürchtet. Ebenfalls aus Metall sind die mannshoch vergrößerten Tortendeck(ch)en, die Huyghe im Raum verteilt hat. Was man sonst als Papierspitze kennt, ist plötzlich scharfkantig wie ein Sägeblatt. Kleines zu vergrößern, bis es im Raum eine enigmatische Qualität gewinnt, liebt Huyghe. Kuchenbleche folgten bei ihm schon den Konturen einer Figur, und dicke Wollknäule verschluckten ganze Personen. Es ist die Lücke zwischen Fiktion und Realität, in die Huyghe mit seinen Bildern immer wieder eindringt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„East Mother – West Mother“. Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 24. Februar.