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Betr.: Julia, 21, absolviert in Moskau ein Fremdsprachenstudium

Julia, 21, absolviert in Moskau ein Fremdsprachenstudium und arbeitet daneben als Prostituierte; ihr Vater hat eine Firma für Plakatwerbung, in der auch ihre Mutter arbeitet:

Ich stehe kurz vor dem Abschluss meines Fremdsprachenstudiums. Zwar bezahlt mein Vater meine Ausbildung, aber ich will eben mehr Geld. Mein Ziel ist eine eigene Wohnung im Zentrum Moskaus. Diese Arbeit hier wird gut bezahlt, und daneben bleibt genügend Zeit für mein Studium.

Mühe macht mir dieser Job nicht. Ich habe mich mit Hypnose beschäftigt und kann mich gut auf meine Kunden einstellen. Die fahren hier mit Chauffeur und Bodyguard vor. Es sind Männer mit Geld, die in ihren Berufen befehlen müssen. Hier wollen sie häufig eine andere Rolle spielen. Manchmal putzen sie meine Wohnung oder küssen meine Füße.

In der Regel ist der russische Mann sowieso ein Mensch, der sich seiner Frau unterordnen muss. Zudem hat er kein Verhältnis zum Geld, er ist sehr verschwenderisch. Ihm fehlt auch eine gewisse Höflichkeitsdistanz. Er überfällt den Gesprächspartner sofort mit seinen persönlichsten Problemen. Und dann ist er auch noch faul. Meist sitzt er an seinem Arbeitsplatz nur rum und ist darauf aus, Kugelschreiber zu klauen. Bei uns scheinen nur die Chefs wirklich zu arbeiten.

Politik interessiert mich nicht groß. Sicher ist, dass ich früher für meine Arbeit ins Gefängnis gekommen wäre, und mein Vater hätte keine eigene Firma. Also hat sich doch etwas zum Guten verändert.

In zehn Jahren wird Russland immer noch genauso sein wie heute. Mein eigenes Leben wird anders aussehen: Wahrscheinlich werde ich eine eigene Firma haben. Was für eine? Irgendeine! Vielleicht eine Reiseagentur. Auf alle Fälle ist mir vorläufig meine Karriere wichtiger als eine eigene Familie.

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