piwik no script img

Mit weichen Pfunden wuchern

Neue Jobperspektiven für Geisteswissenschaftler: Arbeitgeber setzen auf Absolventen, die über „Soft Skills“ verfügen

von VOLKER ENGELS

Lange schien es, als sei alleine ein Studium der Juristerei oder Naturwissenschaft ein Garant für ein ausreichendes Auskommen. Doch zunehmend setzen Arbeitgeber neben dem naturwissenschaftlichen Faktenwissen auf Absolventen, die über so genannte Soft Skills verfügen. Unter diesem Aspekt könnten sich besonders für Geisteswissenschaftler völlig neue Jobperspektiven ergeben.

Ihnen werden weiche Fertigkeiten wie Kommunikationsbereitschaft, Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeit sowie das Vermögen, das eigene Tun kritisch zu reflektieren, nachgesagt. Diese Fähigkeiten kann man bereits im Studium trainieren, meint Detlef Look vom Hochschulteam des Berliner Arbeitsamtes: „Wer bereits im Studium Praktika oder Auslandaufenthalte absolviert hat, gewinnt Kenntnisse, die für den späteren Beruf qualifizieren.“ Bei einem Auslandstudium gehe es neben fachlichen Inhalten vor allem darum, „das eigene Leben in fremder Umgebung zu organisieren“. Mit Folgen für den späteren Job: Wer sich im Ausland permanent auf neue Situationen einstellen müsse, „weil er sein Leben kreativ organisieren muss“, könne sich später auch schneller in Teamstrukturen zurechtfinden. „Heute sind Mitarbeiter nicht mehr ein Leben lang mit einer einzigen Aufgabe befasst, sondern arbeiten in verschiedenen Teams und unterschiedlichen Projekten zusammen“, so Look. Deshalb sind Kreativität und Flexibilität Pfunde, mit denen man wuchern kann.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Stefan Glasneck, der für die Personalberatung Kienbaum hoch qualifizierte Absolventen berät: „Soft Skills können bei Geisteswissenschaftlern stärker ausgeprägt sein, als bei Hochschülern aus stark naturwissenschaftlich geprägten Studiengängen.“ Eine Ursache für Kreativität, Teamfähigkeit und interdisziplinäres Denken liege darin, dass die „Freiräume“ an geisteswissenschaftlichen Fakultäten häufig größer seien als bei den Naturwissenschaftlern. „Teilnehmer dieser Studiengänge stehen stärker in der Pflicht, sich selbst und das Studium zu organisieren“, so Glasneck. Wer als angehender Philosoph oder Theaterwissenschaftler bereits frühzeitig gezeigt habe, dass er innerhalb und außerhalb der Universität Projekte durchgeführt oder vorangetrieben habe, habe auch in der Wirtschaft mittlerweile bessere Chancen. „Es ist nicht grundsätzlich so, dass die Wirtschaft für studierte Philosophen verschlossen ist.“

Auf die universitäre Ausbildung alleine sollten sich Hochschüler aber nicht verlassen: „Teamfähigkeit lernt man am Besten in der Praxis“, ist der Personalberater überzeugt. Daher rät er Studenten, „auch mal mehrere Monate aus dem Studium auszubrechen, um in Praktika Erfahrungen zu sammeln“. Bei allen Vorteilen, die Soft Skills bieten, sollte das Wesentliche nicht aus den Augen verloren werden: „Viele Tätigkeiten neben der Hochschule ersetzen nicht das zielgerichtete und zügige Studium.“

Für die Walldorfer Softwareschmiede SAP ist die Trennung von Fachwissen und Soft Skills wenig hilfreich: „Bei Bewerbern schauen wir uns das fachliche und das soziale Können an“, sagt Unternehmenssprecher Markus Berner. In einer ersten Einschätzung werde geprüft, ob Bewerber über eine betriebs- oder wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung verfügten. Die soziale Kompetenz spiele im Vorstellungsgespräch aber ebenfalls eine wichtige Rolle. Das Unternehmen bediene Märkte auf der ganzen Welt, sodass Mitarbeiter sich auch schnell in „internationalen Teams zurechtfinden müssen“, so Berner. Daher trainiere SAP seine Mitarbeiter in firmeninternen Seminaren, um sie auf dem Gebiet der interkulturellen Kompetenz fit zu machen. Wesentlich sei es, dass Hochschulabsolventen bereits während ihrer Ausbildung Auslandserfahrung gemacht hätten. Ob Bewerber ihre sozialen Fähigkeiten an der Uni oder im Sportverein erlernt hätten, sei nebensächlich: „Wichtig ist, dass sie die haben.“

Um Geisteswissenschaftler für Jobs auch jenseits des Hochschulbetriebs zu qualifizieren, bieten Unis zunehmend Fortbildungen an. So startet an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2002 die studienbegleitende Zusatzqualifikation „Praxis der Personalarbeit“. Sie richtet sich an Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften, die ihre berufliche Zukunft im Bereich Personalmanagement sehen. Unter anderem bietet das Projekt den Studierenden Praxiserfahrungen und Kontakte zu möglichen Arbeitgebern in der Wirtschaft. Die Jungakademiker lernen Grundzüge der Moderation, Personalführung und Kommunikation kennen. Klassische Soft Skills.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen