: Zuerst sind die Großen dran
■ Überfälle verunsichern Bremens Juweliere. Über Sicherungsmaßnahmen geben sie keine Auskunft – doch fordern sie mehr Engagement gegen organisierte Kriminalität
„Wir führen Uhren, die finden sie nicht an jeder Ecke“. Das Schild im Schaufenster des Juweliers „Grüttert“ in der Sögestraße liest sich – einladend wie es klingt – angesichts des Überfalls auf „Brinckmann&Lange“, ein paar Häuser weiter, fast makaber. Dort nämlich hatten die Diebe am Mittwoch jede Durchschnittsware liegen lassen.
Produkte wie die dort entwendete „Patek Phillippe“ im Wert von 63.540 Euro führt „Grüttert“ zwar nicht, doch Geschäftsführer Volker Schmidt ist weit davon entfernt anzunehmen, Kriminelle würden nur nach großen Fischen angeln, wie es seine Kollegin von „Gold Kraemer“, ebenfalls Sögestraße, anscheinend tut. Man sei „ein Geschäft für den Mittelstand, nicht für die gehobene Klasse“, verweist Frau Grada KundInnen mit entsprechenden Wünschen an „Wempe“ oder „Brinckmann&Lange“. Entsprechend gering ist ihre Angst vor Überfällen. „Für Ringe im Wert von 500 Euro riskiert doch niemand was“, sagt die Juwelierin und ergänzt pragmatisch: „Wenn es uns unheimlich wird, machen wir einfach die Tür dicht.“
„Grüttert“-Chef Volker Schmidt schätzt die Lage pessimistischer ein: „Vielleicht trifft es morgen schon uns.“ Bisher haben ihm Diebe zwar lediglich Stücke aus einer Vitrine am Bremer Flughafen entwendet. Ein befreundeter Juwelier aus Essen ist aber bereits überfallen worden. Er konnte den Täter zur Strecke bringen, indem er einen Monitor nach ihm warf. Ein seltener Glücksfall, denn wirksamen Schutz gibt es kaum.
Zusätzliches Sicherheitspersonal ist für Volker Schmidt keine Lösung. „Die Situation eskaliert ohnehin. Wenn wir uns bewaffnen, dann wird das Ganze zu einer Art Schießveranstaltung und wir befinden uns an der Schwelle zum Wilden Westen“, sagt der Mittfünfziger. „Das ist nicht meine Vorstellung von einer Demokratie“. Im Grunde könne man nur gewisse Regeln befolgen. Beispielsweise liege der „tödliche Zeitpunkt“ für Überfälle kurz vor Ladenschluss. Schätze dürfte man um diese Zeite nicht durch den Laden tragen. „Wenn man einem Dieb die besten Stücke auf dem Tablett serviert, macht man es ihm zu einfach.“ Und natürlich gebe es technische Schutzvorkehrungen.
Bei „Wempe“, schräg gegenüber, wurde in solche Maßnahmen investiert. Immerhin liegt dort eine „Rolex“ für 22.000 Euro im Schaufenster. Doch über Sicherheitsfragen will der Chef des Hauses nicht sprechen. „Alle Juweliere rüsten auf“, ist er kurz angebunden. „Manche Kunden reagieren irrational.“ Die Angst, in einen Überfall verwickelt zu werden, halte erste schon vom Betreten eines Juweliergeschäfts ab.
Ingo Voigt, Geschäftsführer von „Brinckmann & Lange“, sorgt sich seit dem letzten Überfall vor allem um seine MitarbeiterInnen. Alle seien verunsichert, nachdem zwei Bewaffnete sein Geschäft kurz vor Schluss gestürmt hatten – und schon Sekunden später mit Uhren im Wert von rund einer Million Euro wieder fort waren. Der ausgelöste Alarm hatte daran nichts geändert. Doch Details der Sicherheitsplanung will der Juwelier nicht preisgeben – abgesehen vom hydraulischen Poller, der sich abends vor den Eingang schiebt. Er verhindert, dass Kriminelle – wie schon geschehen – mittels PKW ins Geschäft brausen.
Auch was Versicherungsfragen betrifft, hält sich der 37-Jährige bedeckt. „Wir sind nicht kurz vor dem Ende, aber es gibt ein ernst zu nehmendes Problem“, so Voigt. Schwerwiegender allerdings sei die Bedrohung der gesamten Branche. „Man muss schon überlegen, welche Dimensionen das hat. Schließlich handelt es sich nicht um Kleinkriminalität.“ Wünschenswert sei ein energisches Vorgehen der Polizei gegen die organisierte Kriminalität aus Ost-Europa. Andernfalls drohe eine Ausweitung des Problems: „Es trifft immer zuerst die, bei denen es am lohnendsten ist.“ Auf Dauer sieht er aber auch die „Kleinen“ gefährdet. Und: „Heute trifft es die Juwelierbranche, bald können andere hinzukommen.“
Christoph Kutzer
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