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Hammer statt Homerun

Auch ohne die Starspielerin Andrea Schöpp betreiben die deutschen Curlerinnen bei den Olympischen Spielen erfolgreich Werbung für ihren Sport, der inzwischen sogar US-Amerikanern Spaß macht

aus Ogden MATTI LIESKE

Bei einer Sportart wie Curling sollte man gar nicht annehmen, dass es so etwas wie Starallüren, Eifersüchteleien und Gehässigkeiten gibt. Nur rund 800 Aktive sind in Deutschland registriert, vielleicht hundert spielen regelmäßig auf höherem Niveau, da denkt man doch, jeder müsse froh sein, dass es den anderen überhaupt gibt. Aber weit gefehlt, wie das Beispiel des deutschen Olympiateams der Frauen zeigt. Da gab es im Vorfeld solchen Krach, dass beinahe gar keine Mannschaft nach Salt Lake City gereist wäre.

Auslöser der Irritationen war die langjährige Starspielerin Andrea Schöpp, eine Art Steffi Graf und Gunda Niemann-Stirnemann des Curlings in einer Person. Sie sollte eigentlich auch bei diesen Spielen mit ihrem SC Riessersee als Nationalteam an den Start gehen, doch „Frau Doktor Schöpp“, so der gängige Sprachgebrauch in Curlingkreisen, wollte die Vorbereitung, inklusive eines Trainingslagers, in Kanada nicht mitmachen. Es gab viele böse Worte und schließlich verzichtete der Verband auf seine Paradecurlerin. In aller Eile wurde ein neues Team aus dem Boden gestampft, das von der Riesserseerin Natalie Nessler als Skip angeführt wird, ansonsten aber mit Spielerinnen aus verschiedenen Klubs, also aus Schwenningen, Füssen, Riessersee und Hamburg, versehen wurde, was ein Bruch mit der alten Tradition, stets die beste Klubmannschaft zu entsenden, darstellt. Die Erleichterung, die ebenso kapriziöse wie dominante Mitspielerin Schöpp, mit welcher der Verband noch im Rechtsstreit liegt, los zu sein, ist den Curlerinnen in Salt Lake City deutlich anzumerken. „Vorher hatten wir eine Zweckgemeinschaft“, sagt der deutsche Trainer Dieter Kolb, „jetzt ist es eine Einheit, die durch dick und dünn geht.“

Nach Abschluss der Vorrunde auf dem Ice Sheet in Ogden gibt es durchaus auch sportliche Argumente, die für die gewählte radikale Lösung des Problems sprechen, selbst wenn es nach einer 4:10-Niederlage gegen die starken Schweizerinnen am Montag nichts wurde mit dem erhofften direkten Halbfinaleinzug. Die Spielerinnen sind dennoch der Meinung, dass der Verzicht auf den Star keine Schwächung bedeutet, da er durch Teamgeist aufgewogen wird. Ziemlich genüsslich weisen Natalie Nessler und Dieter Kolb darauf hin, dass man in Nagano mit Andrea Schöpp zwar als Medaillenkandidat angereist, dann aber bloß Letzter geworden war. Jetzt wurden immerhin fünf Spiele gewonnen und man qualifizierte sich im Kampf um den letzen Halbfinalplatz für den Tiebreak, in dem es gestern (nach Redaktionsschluss) gegen den Sieger des Matches Schweden gegen Großbritannien ging. Nächster Gegner des Gewinners ist im heutigen Halbfinale das übermächtige Kanada, wo Curling neben Eishockey Nationalsport ist, betrieben von 1,2 Millionen Aktiven. Im zweiten Halbfinale spielen zur Freude der Zuschauer in Ogden, von denen die meisten vorher nicht mal ahnten, dass so was Komisches in ihrer Heimat betrieben wird, die USA gegen die Schweiz.

„Ich wusste, dass das Team Potenzial hat, aber dass es gleich so gut läuft, war nicht zu erwarten“, freut sich Trainer Kolb, der vorher Platz sechs als Zielsetzung ausgegeben hatte. „Wenn aber Halbfinale, dann sollte es schon eine Medaille werden. Es gibt nichts Schlimmeres, als bei Olympia Vierter zu sein.“ Wacker schlugen sich auch die Männer, schafften jedoch, ebenfalls durch eine Niederlage gegen die Schweiz, den ersehnten Einzug ins Halbfinale nicht. Trotzdem ist Daniel Herberg, der die wichtige Position drei spielt, überzeugt, in Salt Lake City eine Menge für die Anerkennung seines oft bespöttelten Sports getan zu haben, sowohl was die Fernsehzuschauer in Deutschland als auch was die vollkommen unbedarften amerikanischen Fans in der Halle betrifft. „Ich kann es nicht mehr hören“, schimpft Natalie Nessler, „nur weil bei uns ein Besen dabei ist, machen wir noch lange keinen Hausfrauensport.“ Dieter Kolb nennt Konzentration, Kondition und Koordination als die wichtigen Elemente des Curling, das mittlerweile in 36 Ländern auf vier Kontinenten betrieben wird.

Prima Stimmung

Auch in den US-Medien war Curling zunächst vor allem Glossenstoff und diente als besonders krasses Beispiel dafür, welch eine skurrile Angelegenheit Winterspiele doch sind. Je länger die Wettkämpfe dauern, desto mehr häufen sich in den Zeitungen aber begeisterte Artikel über die tolle Stimmung in der Halle, die spannenden Wettkämpfe und die unverhoffte Komplexität des Curling, das man hier am ehesten als eine Mischung aus Bowling und Schach begreift. Curling erfordert nicht nur Geschick, sondern auch die Antizipation gegnerischer Züge, wie man es von Brettspielen kennt. „Es macht richtig Spaß, hier zu spielen“, sagt Daniel Herberg, „die Halle ist voll, es herrscht prima Stimmung und auf der Straße sprechen einen die Leute an und sagen, wie toll Curling ist.“

Da verzeiht man es gern, dass die Ends genannten zehn Spielabschnitte hier natürlich Innings heißen, der Granitstein ein Ball ist und das Haus ein Home. Begriffen haben die Zuschauer immerhin, dass der letzte Schuss nicht Homerun heißt, sondern Hammer. „Manchmal bejubeln sie aber auch Fehlschüsse“, erzählt Herberg. „Genieße es“, habe Skip Sebastian Stock ihm gesagt, „so viel Applaus kriegst du nie wieder.“

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