piwik no script img

Schmiedet Verse auf hauchdünnem Eis

In der Tradition des großen Arbeiterpoeten Goethe fördert das neue Betriebserbauungsgesetz die Lyrik am Arbeitsplatz

„Diese fünfhebigen Jamben oder die Alexandriner haben einen Super-Sound“

In der Fertigungshalle 4 des neuen Rüsselsheimer Opel-Werks ertönt die Sirene. Tausende von Fließbandarbeitern lassen den Schraubenschlüssel sinken, das Band steht still. Doch nicht die Mittagspause ist es, die sie in der Arbeit innehalten lässt, es ist die Poesie.

Mit ruhig bedächtigem Schritt steigt ein Arbeiter im makellos sauberen Opel-Overall auf das Podium am Ende der Halle und tritt ans Mikrofon. Andächtig lauschen die schwieligen Arbeitsmänner seinem Vortrag:

Am Fließband einst ein Spengler saß/ An Omegas Kaross’ er pochte,/ So gut er konnt’, ohn’ Unterlass,/ So zierlich er’s vermochte.

Nach fünf Minuten brandet Beifall auf. Die Belegschaft feiert ihren Betriebslyriker Bruno Burghart, der die Autowerker mit seinen Versen aus ihrem monotonen Arbeitstrott gerissen hat. „Seit es zweimal am Tag eine fünfminütige Poesie-Pause gibt, gehen wir wieder gern in die Maloche“, meint denn auch ein altgedienter Opelaner im ölverschmierten Blaumann. „Diese fünfhebigen Jamben oder auch die Alexandriner, die haben doch einen Super-Sound, die heben einfach das Gemüt.“

Dass Dichtung die Mitarbeiterzufriedenheit und die Produktivität zu steigern vermag, gibt denn auch Betriebsleiter Jan Weck unumwunden zu. Das war nicht immer so. Lange dauerte der gewerkschaftliche Kampf gegen den hartnäckigen Widerstand der Arbeitgeber.

Wenig hilfreich waren bei der Diskussion um das Projekt „Poetisierung der Arbeitswelt“ ideologische Vorbehalte, von denen sich im Vorfeld viele Kritiker des Reformvorhabens haben leiten lassen. Auch die Diskussion über die Kosten des Vorhabens griff zu kurz. Alle Kostenschätzungen bewegen sich aufgrund des unsicheren Datenmaterials nämlich auf hauchdünnem Eis und berücksichtigen nicht den Nutzen, den die dichterische Belebung der Arbeitswelt für die Unternehmen und ihre Produktivität hat.

„Mit der Einführung der Betriebsdichter wollen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland modernisieren und zukunftsfähig machen“, erklärt Bundesarbeitsminister Walter Riester. Nach Schätzungen des Literaturwissenschaftlichen Instituts der DGB-nahen Willi-Bredel-Stiftung wird die Einführung betriebsinterner Verseschmiede einen wichtigen Beitrag zur Humanisierung der postindustriellen Arbeitswelt leisten.

Riester: „Die hoch technisierte Produktion schreit doch geradezu nach den kakophonen Kadenzen einer Maschinenlyrik, oder, um es mal ganz salopp zu formulieren, nach den fetten Beats der working-class poets.“

Uwe T., ein Stanzer in tadellos gebügeltem Arbeits-Outfit, pflichtet dem Minister bei: „Ohne die hypnotischen Stanzen von unserem Nachtschichtpoeten könnte ich nie so effektiv arbeiten.“ Ein Argument, dem sich auch die hartnäckigsten Gegner des Projekts nicht verschließen konnten.

Seit dem Herbst 2001 ist der Knoten durchschlagen, das Betriebserbauungsgesetz in trockenen Tüchern. Und da an einer Mehrheit im Bundestag für die Novelle kein Zweifel besteht, werden die Betriebsdichterwahlen im März auf der Basis der neuen Gesetzeslage stattfinden.

In Betrieben von fünf bis zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern wird es einen Werkpoeten geben, bei einer Belegschaft von 21 bis 50 Mitarbeitern können drei Betriebsdichter gewählt werden. Von da an wurden die so genannten Schwellenwerte gesenkt. Dies hat zur Folge, dass es schon ab 100 Mitarbeitern sieben Werksdichter geben wird. Folgende Kernpunkte regelt der Gesetzentwurf:

Schaffung einer verlässlichen und tragfähigen Organisationsgrundlage, die die Wahl von Betriebsdichtern auch betriebs- und unternehmensübergreifend erlaubt, wie zum Beispiel einen gemeinsamen Betriebsdichter mehrerer Unternehmen, Filial- und Sparten-Betriebsdichter.

Erleichterung der Bildung von Konzern-Betriebsdichtern durch Entbürokratisierung des Wahlrechts.

Aufhebung des überholten Gattungsprinzips, nach dem Lyriker nur für Kleinbetriebe, Epiker nur in Großbetrieben und Dramatiker nur für börsennotierte New Economy Start-ups dichten konnten.

Dass auch schon in früheren Zeiten Dichtung ihren Beitrag zur Durchsetzung von gewerkschaftlichen Forderungen zu leisten vermochte, zeigt das Beispiel Johann Wolfgang von Goethes, der mit einem Gedicht der Einhaltung der betrieblichen Sonntagsruhe zu ihrem Recht verhalf:

In seiner Werkstatt sonntags früh/ Steht unser teurer Meister hie:/ Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,/ Einen saubern Feierwams er trägt,/ Lässt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,/ Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;/ Er ruht nun auch am siebten Tag/ Von manchem Zug und manchem Schlag.

Wohlauf denn, Männer der Faust, ergreift Bleistift oder Federkiel, stanzet das Versblech, solange es heiß ist, und versüßet die Stunden der Fron mit heiteren Strophen! RÜDIGER KIND

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen