: „Familie ist, wo Kinder sind“?
betr.: „Avantgarde gegen das Ehegattensplitting“, Kommentar von Christian Rath, taz vom 18. 2. 02
Alleinerziehende haben nicht „Klage gegen ein Karlsruher Urteil eingelegt“. Wir klagen gegen das neue Familienförderungsgesetz der rot/grünen Bundesregierung, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bewusst falsch interpretiert und den Alleinerziehenden sowie den Eltern in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Steuerklasse II wegnimmt. Sie hätten genauso die Wahl gehabt, den Ehepaaren einen zusätzlichen Freibetrag einzuräumen. Das neue Gesetz ist also eine Billiglösung und folgt nicht den politischen Zielvorgaben der Bundesregierung „Familie ist, wo Kinder sind!“.
In seinen Entscheidungsgründen 1998 führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Beibehaltung des Haushaltsfreibetrages in seiner alten Form verfassungswidrig sei, „weil sie die eheliche gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften benachteiligt. Der Gesetzgeber gewährt den nichtehelichen Erziehungsgemeinschaften einen Haushaltsfreibetrag auch dann, wenn jedem Elternteil ein Grundfreibetrag zusteht, während der Haushaltsfreibetrag den Ehegatten grundsätzlich vorenthalten wird …“. Das Bundesverfassungsgericht schrieb in seiner Begründung auch: „Alleinstehende Personen mit Kindern sollen einen zusätzlichen Freibetrag ähnlich einem weiteren Grundfreibetrag erhalten und damit im Proportionalbereich der Einkommenssteuer ebenso besteuert werden wie zusammen veranlagte Ehegatten.“
Das Bundesverfassungsgericht hat also ganz eindeutig den Haushaltsfreibetrag im Verhältnis von verheirateten zu unverheirateten Eltern für verfassungswidrig erklärt, nicht aber im Verhältnis von verheirateten Eltern zur Einelternfamilie. Recht gebe ich Ihnen, dass es langfristig um eine große Strukturreform gehen muss. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (Vamv) (im Verbund mit vielen sozialen Organisationen) fordert eine viel weitergehendere Lösung: Wir wollen eine kindbezogene Entlastung, die alle Familienformen gleich behandelt. Konsequenterweise folgt daraus die Einführung der Individualbesteuerung und ein einheitliches Kindergeld für alle Kinder – mindestens 300 Euro. Erst dann würden das Ehegattensplitting und der Haushaltsfreibetrag überflüssig. EDITH WEISER, Geschäftsführerin des Vamv NRW
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