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Frauen, die Frischmilch trinken

Wenn die Herta und der Heinz sich Geschichten erzählen: Jo Fabian verabschiedet sich am Hebbel-Theater mit „Die Idioten“ ins elitäre Niemandsland. Dagegen helfen auch die Schlager des 1. Musikzugs der Berliner Feuerwehr nicht

Irgendwann macht Heinz die Geschichte furchtbar traurig. Er schaut seine Herta an und weiß nicht wie weiter. Da bedient sein treues Weib den roten Erfrischungsknopf und fünf junge Balletteusen hüpfen schulgemäß über die Bühne. Das hebt die Stimmung, erfreut die betrübte Seele. Die Lacher aus dem Publikum sind einprogrammiert – zu drollig sehen die braven Mädchen in ihren Spitzenkleidchen aus. Die nächste Erfrischung bringt uns den 1. Musikzug der Berliner Feuerwehr mit den üblich verdächtigen Melodien auf die Bretter. Auch lustig. So richtig putzig wird es aber erst, wenn Frau Enskat-Jansen (Rosa Enskat) als Glitterfee aus dem Schnürboden segelt und „Theo, wir fahrn nach Lodz“ trällert. Heiter ist die Volksmusik.

Jo Fabians jüngstes Werk markiert einen Bruch. Seine letzten Inszenierungen, das Ausstellungsstück „tristan und isolde. nicht berühren“ oder „The Dark Side of Time“ etwa, bedienten einen affirmativen Ästhetizismus, der Bilder um der Bilder willen erschuf. Das waren choreographierte Wohlfühlabende, die mit Gucci-Werbung zu konkurrieren verstanden. Aus Fabian, dem einstigen Unruhestifter, war ein Meister der Belanglosigkeit geworden.

Jetzt ist ihm mit „Die Idioten“ ein neuerlicher Coup gelungen: Der eineinhalbstündige Abend glänzt mit Arroganz und Attitüde. Er hat Petra Bogdahn und Jörg Steinberg als die Bauern Herta und Heinz Kröger auf ein niedriges Sofa gesetzt und ihnen einen nordisch-schnoddrigen Dialekt verschrieben. Das herausgeputzte Paar kündigt einen Überraschungsabend an.

Das Konzept: „Gute Unterhaltung und ein bisschen Betroffenheit“. Das Motto: „Unser Land, fremdes Land!“ Die versprochene Show im „Hermann-Hebbel-Aufführungstheater“ findet natürlich nicht statt, hat aber bereits seinen Namen als Spruchband in den Bühnenhimmel gehängt: „Ein Glas Milch für jeden, aber nicht für alle.“ Und während Heinz und Herta fortwährend auf den Beginn des Eigentlichen vertrösten, erzählen sie in kabarettistischer Manier groteske Geschichtchen, denen die Konstruiertheit überdeutlich anzumerken ist.

Es sind auf Witz und Effekt zugeschusterte Anekdoten vom Leben in der Landwirtschaft (hinten links steht ein grüner Trecker) und Frauen, die Frischmilch trinken (hinten rechts stehen Milchgläser). Unterbrochen von den Erfrischungsnummern quält sich der Abend auf die Schlusspointe hin: Zum deftigen Sound von Rammstein dreht sich die Bühne und zeigt die Beteiligten mit Schweißerbrillen im Gegenlicht.

Das alles ist freilich ironisch gemeint, will die Spaßgesellschaft persiflieren und den Stumpfsinn als stumpfsinnig entlarven. Aber Geschwätzigkeit lässt sich mit Geschwätzigkeit nicht kritisieren. Die Ironie der Ironie nimmt sich selbst die Basis. Das ginge noch an, würde Fabian das einfache Leben einfacher Leute nicht zur Witzvorlage degradieren.

Der Duktus des Abends ist elitäre Überheblichkeit: Da macht sich wer von vermeintlich höherer Stufe über die ach so dummen Mitmenschen lustig. Bei so viel arroganter Weltfremdheit bleibt einem die Spucke weg: Besser ist es doch, nach Lodz zu fahren als ins Hebbel-Theater zu gehen. DIRK PILZ

Bis 26. Februar, um 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr. 29, Kreuzberg

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