piwik no script img

Slobodan Milošević ist sein bester Anwalt

Jugoslawiens Expräsident weiß sich vor dem UNO-Tribunal zu verteidigen. Er erweist sich als gut vorbereitet und führt die Zeugen der Anklage vor

SPLIT taz ■ Das Gerichtsverfahren gegen Slobodan Milošević vor dem UN-Tribunal in Den Haag ist jetzt eine Woche alt. Und der gut vorbereitete ehemalige jugoslawische Präsident weiß sich zu verteidigen – auch ohne juristischen Beistand, den zu bestellen er ablehnt.

Es gelang ihm bisher sogar, einige der Zeugen in die Defensive zu treiben, wie den ehemaligen kommunistischen Parteiführer Kosovos bis 1981, Mahmut Bakalli. Der nach der staatlichen Repression gegen die Studentenbewegung von 1981 von seinem politischen Posten zurückgetretene Professor für Sozialwissenschaften an der Universität von Priština musste zugeben, dass viele Albaner schon vor der Aufhebung des Autonomiestatuts 1989 die Unabhängigkeit Kosovos von Serbien anstrebten. Dies ist bedeutsam, weil die jugoslawische Verfassung von 1974 dem Kosovo einen weitgehend auf Selbstverwaltung ausgerichteten Status verliehen hatte.

Noch heute ist der Zeitraum 1974–1989 den Menschen im Kosovo als die „beste Zeit“ in Erinnerung. Milošević versuchte aus dem Zeugen herauszulocken, dass die kosovo-albanische nationale Bewegung mehr wollte als dieses Statut, nämlich schon damals die Unabhängigkeit. Dies gelang ihm zwar nur zum Teil. Bakalli jedoch, einst glühender Anhänger des kommunistischen Staatschefs Tito, machte keinen sonderlich guten Eindruck: Erinnerungslücken taten sich dann auf, wenn es erforderlich gewesen wäre, offensiv zu antworten.

Das betraf auch die Frage des nach 1989 etablierten Apartheid-Systems. Dass die Albaner unter Androhung von Repressionen in den Betrieben Loyalitätserklärungen zum Milošević-Staat unterschreiben mussten, konnte er nicht beweisen, weil er vergessen hatte, ein solches Papier mitzubringen. Milošević nutzte diese Schwäche, um zu behaupten, die Albaner hätten die Wirtschaft und die Institutionen des Staates boykottiert und trügen damit die Verantwortung für die Verschärfung des Konfliktes. Bakalli schwächelte zudem in der Frage der UÇK. So wollte er keine Kontakte zu ihr gehabt haben, musste jedoch zugeben, Berater des damaligen politischen Sprechers der UÇK, Adem Demaci, gewesen zu sein.

Das Gericht versuchte die Befragung Bakallis durch Milošević abzukürzen, was dazu führte, dass die zeitgeschichtlichen Umstände – im Sinne Milošević’ – nicht ausführlich zur Sprache kamen. So behauptete Milošević, das von kosovo-albanischen Kommunisten dominierte Parlament hätte der Aufhebung des Autonomiestatus zugestimmt, was formell richtig ist. Bakalli erklärte, dass jenen mit Repression gedroht wurde, die sich verweigerten. Er verzichtete jedoch darauf, Fakten, Namen und nähere Umstände zu benennen. Andere Zeugen zu diesem Komplex wurden bisher nicht geladen.

Dagegen sprang das Gericht an den folgenden Tagen mit den Zeugen Agim Zeqiri und Fehim Elshani in das Jahr 1999. Agim Zeqiri, Bauer aus dem Dorf Celine im Distrikt Orahovac, beschrieb, wie die serbische Polizei im März 1999 in seinen Keller vordrang. Er überlebte, weil er zwei der Polizisten kannte.

Der selbstbewusste Buchhalter Fehim Elshani aus dem gleichen Distrikt bestätigte zwar, dass nach 1989 eine Loyalitätserklärung von ihm verlangt wurde und er deshalb seinen Job verlor. Er war jedoch nicht direkter Augenzeuge der 1999 in diesem Distrikt begangenen Massaker – denen nach bisherigen Erkenntnissen rund 1.200 Menschen zum Opfer fielen. Augenzeugen sind aber dem Gericht bekannt.

Bisher hat das Gericht nicht überzeugt. Dass die Auswahl und die Abfolge der Zeugen nicht durchdacht zu sein scheint, kommt dem Angeklagten entgegen. Doch der Prozess allein zu dem Komplex Kosovo wird noch Monate in Anspruch nehmen und da kann sich noch vieles tun. Sicher ist jetzt schon eines: Die Verhandlung zieht die Menschen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens in ihren Bann. In Kroatien, Bosnien und natürlich in Serbien und im Kosovo werden weite Teile der Verhandlung im Fernsehen direkt übertragen. ERICH RATHFELDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen