: Abschiebehaft: Weg aus dem rechtsfreien Raum
■ Bremer Anwalt erwirkt Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, damit die Rechtmäßigkeit von Abschiebehaft nachträglich überprüft werden kann. Droht den Ausländerbehörden nun eine Flut von Schadenersatzforderungen?
Das Landgericht Oldenburg muss nachsitzen. Dazu wurde es jetzt vom Bundesverfassungsgericht verdonnert. Der Landkreis Vechta hatte im Januar 1999 einen abgelehnten Asylbewerber aus Sri Lanka in Abschiebehaft genommen, nachdem er einen Asylfolgeantrag gestellt hatte. Begründung: Weder seinem Chef noch dem Hausmeister seines Asylbewerberwohnheims hatte der Tamile von seiner bevorstehenden Ausreise erzählt. Daraus schlossen die Behörden, dass er untertauchen wolle. Der Flüchtling legte Beschwerde ein: Schließlich habe er Arbeit und einen festen Wohnsitz, also bestehe auch keine Fluchtgefahr. Eine Woche später wurde er nach Sri Lanka abgeschoben.
Thema erledigt? Nicht für den Bremer Anwalt Jan Sürig, der den Abgeschobenen vertritt. Beim Landgericht legte er Beschwerde gegen die Abschiebehaft ein - erfolglos: Schließlich sei die Haft durch die Abschiebung beendet, also habe sich das Interesse des Betroffenen an der rechtlichen Klärung „prozessual überholt“. Sürig ließ nicht locker, zog bis vors Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe. Das sah offenbar grundsätzlichen Klärungsbedarf: Ein achtköpfiger Senat unter Vorsitz der Präsidentin Jutta Limbach fasste drei ähnlich gelagerte Verfassungsbeschwerden zusammen und gab ihnen schließlich statt: Die Abschiebehaft sei ein derart schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person, dass die Betroffenen sehr wohl auch nach Beendigung der Maßnahme noch das Recht auf gerichtliche Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hätten, so Deutschlands höchste Richter. Bei staatlichen Maßnahmen mit diskriminierendem Charakter bestehe für die Betroffenen ein „Rehabilitierungsinteresse“. Die Abschiebehaft impliziere „den Vorbehalt, der betroffene Ausländer habe sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten – oder drohe, sich so zu verhalten –, die seine Inhaftierung rechtfertige.“ Damit sei die Haftanordnung, falls sie sich als rechtswidrig erweisen sollte, geeignet „das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.“
Deshalb haben die Verfassungsrichter die Landgerichte angewiesen, die Beschwerden zu verhandeln – auch wenn die Haft längst zu Ende ist. Für die Betroffenen geht es nicht nur um die Ehre: Stellt sich heraus, dass sie zu Unrecht inhaftiert wurden, können sie die Ausländerbehörden auf Schadenersatz verklagen. Experten gehen davon aus, dass nicht nur die „normale“ Haftentschädigung von rund zehn Euro am Tag fällig würde. Stattdessen könnten die Opfer unrechtmäßiger Abschiebehaft Schmerzensgeld verlangen: 250 Euro am Tag wären nichts Besonderes; wenn man sich an den Sätzen für zu Unrecht in die Psychiatrie verbrachten Menschen orientiert, könnte es auch das Doppelte werden.
Rechtsanwalt Sürig wird nun Kontakt mit seinem Mandanten in Sri Lanka herstellen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Unter Bremer Fachanwälten hat das Urteil indes verhaltenen Optimismus ausgelöst. Sener Ertür ist zufrieden, dass „der Rechtsweg wieder eröffnet“ wurde, nachdem manche Gerichte Haftbeschwerden regelrecht „ausgesessen“ hätten. Vielleicht, so hofft er, hätten künftige Entscheidungen ja auch „präventiven Charakter“, indem sie die Ausländerbehörden zur sorgfältigeren Prüfung von Haftgründen animieren. Barbara Neander sieht durch das Urteil den Schutz für von Abschiebung Bedrohte verbessert: „Bisher wurde im weitgehend rechtsfreien Raum ja recht freimütig Abschiebehaft verhängt.“ Deutlich wird Christina Bremme: „Ich würde immer auf Schadenersatz abzielen, denn das ist die einzige Sprache, die die Ausländerbehörden verstehen.“
Im Bremer Innenressort wurde die BVG-Entscheidung gelassen zur Kenntnis genommen. Zwar komme es auch in Bremen vor, dass Gerichte die Freilassung von Abschiebehäftlingen anordnen, so Sprecher Markus Beyer. „Wir fürchten aber keine Welle von Schadenersatzansprüchen.“ Seine Behörde nehme nur Personen in Abschiebehaft, die sich ihrer Ausreiseverpflichtung entziehen würden. Jan Kahlcke
Beschluss der BVG unter www.bverfg.de/entscheidungen/rs20011205_2bvr052799
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