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Knisterndes Krach-Lego

Besuch bei der Bastelgruppe, Abteilung Soundforschung: Beim Chicago-Special im Podewil mit dem Postrock-Gitarristen David Grubbs und Minimal-Miterfinder Tony Conrad wurde mancher Heiligenschein angekratzt

Der Mann hat seine Verdienste. Mindestens ein halber Heiligenschein gebührt Tony Conrad, weil er Mitte der Sechziger mit La Monte Young und John Cale als The Dream Syndicate mit Soundvorstellungen experimentierte, die Cale schließlich bei Velvet Underground unterbringen konnte. Und dafür sorgte, dass hier nicht nur eine weitere Rock-’n’-Roll-Band an den Start ging. Diese Pionierarbeit hat die Musikgeschichtsschreibung Conrad nicht unbedingt gedankt. Nach Terry Riley, Steve Reich und den anderen listet sie den Minimal-Music-Miterfinder bestenfalls für die Ersatzbank auf.

Beim Chicago-Special am Freitag im Podewil wippte der Geiger strumpfsockig in seiner Musik und ließ mal wieder hören, was ein anständiges Drone ist. Was er spielte, war relativ egal (so eine reduzierte elegische Klage, nach Balkan schmeckend). Es ging allein darum, mit den Obertönen und elektronisch generierten Überlagerungen die Musik wie eine Glocke über den Hörer zu stülpen. Reinstes Soma. Nur Schwingungen. Da fühlte man sich ein Weilchen durchaus geborgen und wusste schon, dass sich das mächtig in die Länge ziehen würde. Minimal Music gönnt sich die Zeit. Eine Sache des Prinzips. Kleinteilige Veränderungen dauern, so wie einer Tropfsteinhöhle auch etwas Zeit zur Entfaltung ihrer Pracht zugestanden werden muss. Deswegen kommt Minimal Music ja am liebsten in aufwendigen CD-Boxen daher, während das nicht gerade wenig komplexe Gesamtwerk von Varèse etwa bequem auf einer Doppel-CD zu verstauen ist.

Beim musikalischen Output von David Grubbs kann man durchaus den Überblick verlieren. Sein Weg führte von Punk zum Postrock. Mit etlichen Abschweifungen dazwischen. Stichworte: Bastro. Gastr del Sol. Red Krayola. Und im Podewil zeigte er in seinem Solo den großen Respekt für das Folkpicking von John Fahey und stellte einige fragil-scheue Lieder in den verdunkelten Saal ab, die mit ihrer Melodie nicht gleich hausieren gingen. Berückend schlicht und schön.

Einigermaßen schade war das Nachtdunkel dann bei Kevin Drumm/Jerôme Noetinger. Weil man so nicht recht sehen konnte, was die beiden an ihrem Tisch anstellten. Voll bepackt war der mit elektronischem Gerät, einem Tonband, Kinderspielzeug, Gitarre und sonstigen Klangmöglichkeiten, was sich wie eine Konferenzschaltung anhörte zwischen einer Großraumküche beim Geschirrspülen, einer Funkstation und einem Kamin, durch den gerade ein mächtiger Sturm fauchte. Knisterndes Krach-Lego. Manchmal verdichtet zum weißen Rauschen. Eine Geräuschcollage als vollkommen enthierarchisierte Musik: Ohne Melodien. Kaum Rhythmus. Kein harmonisch justiertes System. Mit gleichem Recht darf man auch Treibsand dazu sagen.

So war man bereits recht ermattet beim eigentlichen Höhepunkt des Abends: David Grubbs, Tony Conrad und Dan Brown im Trio, die auch ausgiebig in den Sounds nestelten. Glöckchengebimmel, Gongs. Das Raspeln eines Geigenbogens über Karton. Bis sich das Schwappen mit einem energischen Gitarrenmotiv von Grubbs kurz ans Ufer rettete, sich wieder verläpperte. Erneuter Rückzug in die Krabbelgruppen. Nur in Ansätzen wollten die drei zeigen, dass hier die großartige Gelegenheit gewesen wäre, die Schnittmenge von Tortoise (die Eleganz, die Melodien) und Velvet Underground (die quertreibenden Sounds) zu definieren. Kurz blitzte diese Klasse auf. Der Rest war Improvisationsmucke. Der Beifall blieb höflich. Eine Zugabe wollte eigentlich keiner haben.

THOMAS MAUCH

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