piwik no script img

Ein Held namens Johnny

Drei Akkorde, zerstörte Hotelzimmer, schöne Seelen und sonst nichts als die Wahrheit: Johnny Cash wird siebzig und Wiglaf Droste und Franz Dobler feiern in der Bar jeder Vernunft den letzten aufrechten Idealisten im Musikbusiness

Ohne Cash wären Punk, Gangsta Rap und allerlei anderes gar nicht erst passiert

Wenn es stimmt, was Harlan Howard sagt, Songwriter aus Nashville, dann ist Country nicht mehr und nicht weniger als „Drei Akkorde und die Wahrheit“. Und Johnny Cash, darf man selbst im Stillen hinzufügen, ist der wahrste von allen. Morgen wird Cash 70 Jahre alt, was an sich schon ein Wunder ist, und Franz Dobler hat ihm ein Buch geschrieben, aus dem auch das Howard-Zitat stammt, und eine Platte mit seltsamen Coverversionen von Cash-Songs zusammengestellt.

Es hätte so schön werden können. Dobler, Schriftsteller und Journalist, schenkt Cash (vor allem sich selbst und uns) eine Liebeserklärung. Und „The Beast In Me – Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik“ fängt auch so schön an. Dobler erzählt, wie die Countrymusik dereinst einmal eine aufkeimende Liebe zerstörte. In schönster Greil-Marcus-Tradition wird in diesem ersten Kapitel private Geschichte mit der Geschichte der Musik verschränkt, wird Persönliches erzählt als Wirkungsgeschichte von Pop. Anschließend aber verliert sich Dobler in einer Biografie. Einer zwar flott formulierten, detailreichen und um eine eigene Sichtweise bemühten, aber einer doch recht konventionellen Biografie, die zudem viele ihrer Informationen aus anderen, älteren Biografien schöpft. Denn natürlich hat Dobler, wie er in der Einleitung auch fröhlich bekennt, kein Interview mit dem Meister geführt und fördert auch keine neuen, sensationellen Erkenntnisse der Cash-Forschung zutage.

Cashologen dürften deshalb eher enttäuscht sein. Für andere hat Dobler ein Buch geschrieben, das nicht allzu kritisch mit seinem Gegenstand umgeht, sondern die Lebensgeschichte des Man in Black erzählt als den spannenden Roman, die sie sowieso ist. Dobler feiert Cash als aufrechten Idealisten im verdorbenen Musikbiz, als Erfinder des zerstörten Hotelzimmers, als Priester des „Boom-Chicka-Boom“, als Etablierer des Konzeptalbums, als Mann, ohne den Punk und Gangsta Rap und allerlei anderes gar nicht oder anders passiert wären, als größten Drogenfresser und schönste Seele der Countrymusik, und Cash macht es ihm einfach, denn all das und noch vieles mehr war und ist er ja tatsächlich.

„A Boy Named Sue – Johnny Cash Revisited“ ist die CD zum Buchprojekt. Franz Dobler hat sich bemüht, in der bundesdeutschen Independent-Szene nur seltsame und eher wenig nahe liegende Coverversionen von Cash-Songs zu sammeln. Mehr als zwei Drittel der Songs waren gar bislang unveröffentlicht. So auch Tilman Rossmys zum Teil eingedeutschte Version von „Orange Blossom Special“ und „Big River“ von Mann ohne Schmerzen, hinter denen sich die Hälfte von Fink versteckt. Aus „A Boy Named Sue“ wird bei Bernadette Hengst „Ein Mädchen namens Gerd“, und Three Shades of Blues, mit Menschen aus Notwist und F.S.K., übersetzen „Five Feet High and Rising“ ins Kroatische.

Musikalisch, das zeigt Doblers Zusammenstellung, verträgt Cash allerlei, darunter elektronische Beats und Reggae. Hack Mack Jackson baden „Rusty Cage“ in ein Noise-Gewitter, und andere gehen dafür überaus respektvoll an die Vorlagen heran, so auch Wiglaf Droste & das Spardosenterzett an „I Won’t Back Down“. Droste war es auch, der Dobler erst dazu brachte, das Buch zu schreiben. Wiglaf Droste wird morgen in dieser Zeitung Cash ausführlich würdigen, heute Abend aber mit Dobler schon mal erste Geburtstagsständchen singen. THOMAS WINKLER

20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen