: Die fünfte Säule des Islam
Die Pilgerreise nach Mekka ist ein Gebot des Islam. Magedy Mahmoud, Vorsitzender des Vereins ausländischer Behinderter, beschreibt seine Sicht auf Ritus und Bedeutung des Hadsch
von SUSAN KAMEL und CHRISTINE GERBICH
Die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach dem Haus (Mekka) zu machen, soweit sie dazu eine Möglichkeit finden. Sure 3,96 f.
Für Magedy Mahmoud, der seit elf Jahren in Berlin lebt, ist die Zeit für eine Pilgerfahrt nach Mekka noch nicht gekommen. Die Reise würde für ihn einen zu hohen Aufwand bedeuten, denn Magedy verlor als 16-Jähriger bei einem Verkehrsunfall in Alexandrien den linken Arm und das linke Bein und sitzt seitdem im Rollstuhl. Der 39-jährige Vorsitzende des Vereins ausländischer Behinderter entschied sich bisher dafür, mit seiner polnischen Frau und den vier Kindern in seine Heimat Ägypten zu reisen, um seine Familie zu besuchen.
Magedy erklärt uns den Sinn der Pilgerfahrt, der fünften und letzten Säule des Islam, anhand einer Gebetbuchseite aus dem Museum für islamische Kunst in Berlin. Die Seite stammt aus einem Buch, das der Berber al-Gasuli im 15. Jahrhundert verfasst hat und das in der gesamten islamischen Welt verbreitet war. Auf der Seite sind die beiden wichtigsten Pilgerorte abgebildet: Links das ehemalige Wohnhaus des Propheten in Medina, das seit seinem Tod als Moschee dient. Dass Mohammed und seine Frauen hier begraben sind, wird durch Formeln in der linken oberen Ecke des Blatts symbolisiert. Daneben ist die Kanzel abgebildet, von der Mohammed gepredigt haben soll. Auf der rechten Blatthälfte wird der Geburtsort des Propheten, Mekka, dargestellt, erkennbar an der Kaaba, dem heiligen schwarzen Würfel. Der blaue Kreis symbolisiert den Ritus der siebenmaligen Umrundung der Kaaba durch die Gläubigen, die zum festen Bestandteil der Pilgerreise gehört. Außerdem sind auf beiden Blattseiten zahlreiche Minarette und Kuppeln von Moscheen aufgemalt. Die Darstellungen auf dem Gebetsblatt jedoch sind keine historischen Nachbildungen, sondern Symbole, die den Gläubigen helfen sollen, sich während der Meditation Mohammed zu vergegenwärtigen.
Gläubige, die die Pflicht der Pilgerreise erfüllen, so erklärt mir Magedy Mahmoud, sind nach ihrer Rückkehr von allen Sünden rein gewaschen. Natürlich gebe es auch Menschen, die nur nach Mekka gingen, um anderen zu zeigen, dass sie jetzt Hadschis sind. Dies ist nämlich der Ehrentitel, den diejenigen tragen dürfen, die zu den heiligen Orten gepilgert sind. „Aber Gott weiß schon, ob es jemand aus reinem Glauben macht oder nicht“, meint Mahmoud zu solchen Täuschungsversuchen.
Der Hadsch ist jährlich auf einen festen Termin beschränkt und beginnt am 7. des Monats Dhu-al-Hiddscha, nach islamischer Zeitrechnung der 12. Monat des Mondjahres, und endet am 13. desselben Monats. Die Pilgerreise selbst, so Mahmoud weiter, ist eine komplizierte Angelegenheit, die nach strengen Regeln abläuft. Dies werde schon bei den Vorbereitungen deutlich, denn natürlich muss das Geld für die Reise ehrlich verdient worden sein. In Mekka selbst leisten sich viele Gläubige den Luxus eines Führers, der sie auf die Stationen vorbereitet. Dazu gehören neben der schon erwähnten Umrundung der Kaaba der siebenmalige Lauf zwischen zwei Hügeln, der an die Wassersuche von Abrahams Frau Hagar für ihren Sohn Ismael erinnern soll.
Am 8. Tag des Monats dann folgt ein weiterer Höhepunkt: Auf einem Berg außerhalb Mekkas vollziehen die Pilger das „Ritual des Verweilens“. Nach einer symbolischen Steinigung des Satans auf einem weiteren Berg folgt am 10. Tag das höchste religiöse Fest des Islam, das Opferfest, das in der ganzen islamischen Welt gefeiert wird. Kleidervorschriften gibt es besonders für die Männer, die sich mit zwei Tüchern bedecken sollen. Frauen und Männer dürfen sich nicht schminken, ihre Kleidung muss bis unter die Knie reichen.
Die harten Regeln, so Mahmoud, seien jedoch nur für die gesunden Menschen. Denn Gott habe uns geschaffen und kenne unsere Körper gut. Irgendwann wird auch Mahmoud mit seinem Rollstuhl die Reise nach Saudi-Arabien antreten. Die Behörden, die jedes Jahr mit der großen Zahl von Besuchern schwierige logistische Probleme bekommen, machen zwar Fortschritte, wenn es um Behindertenfreundlichkeit geht. Allerdings müsse man für einen Träger viel Geld bezahlen. Dann schon lieber der eigene Rollstuhl: „Mit meinem Rollstuhl gebe ich dann ein bisschen Gas!“
Der Verein ausländischer Behinderter e. V. sucht unter dem Stichwort „Behinderte in der Dritten Welt“ Spenden für ärztliche Versorgung oder für Notoperationen. Deutsche Bank, BLZ 100 700 24, Kto.-Nr. 2 718 534
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