: Barockklänge in klassizistischer Galerie
Exquisite musikalische Leistung bei mäßiger Inszenierung: Händels Oper „Alcina“ ■ Von Reinald Hanke
Ach, glückliches Hamburg: Die Staatsoper hat mal wieder eine Produktion herausgebacht, die man musikalisch einfach nur genießen muss. Händels Alcina wurde unter der Stabführung des Engländers Ivor Bolton zu einem Höhepunkt im Musikleben der Hansestadt. Da gelang es dem Barockspezialisten von der Insel doch tatsächlich, innerhalb kürzester Zeit aus dem Hamburger Staatsorchester ein Händel-Orchester zu formen, wie man es bisher in ganz Norddeutschland nicht hören konnte. Und er hat diesen Klangkörper zu einer Ausdrucksintensität geführt, die man gerade bei den durchaus langatmigen Werken Händels höchst selten erleben kann.
Bolton hat den Mut zu schroffen Tempo- und Charakterwechseln. Im Gegensatz zur Dirigierweise vieler anderer Barock-Dirigenten geht bei ihm nichts unter im generalbassmäßig-kontinuierlichen Weiterspinnen des musikalischen Materials in mehr oder weniger gleichen Tempi. Die so unterschiedlichen in Musik gefassten Gefühle werden vielmehr ausgelotet und dem Hörer vorgeführt, als ob es die eigenen Gefühle seien. Diese Interpretation lebt aus der Kraft der eigenen Identifikation des Dirigenten mit der Ausdruckswelt dieser Musik. Das ist zwar bei vielen Dirigenten so, jedoch gelingt es Bolton besonders gut, diese Ausdrucksstärke seinen Musikern zu entlocken und damit den Hörern zu vermitteln. Dieser Mann hat nicht nur enorm viel Ahnung von der Klangwelt Händels, er hat zudem im Höchstmaße Charisma, Musikalität und handwerkliche Fähigkeiten.
Und sein in verblüffend guter Verfassung spielendes Orchester profitiert davon. Da werden Phrasierungsbögen extrem spannungsreich gestaltet. Da werden aber auch die ruhigen Momente der Partitur mit großer Gelassenheit musiziert. Die Tempo-Relationen zwischen den einzelnen Stücken und ihren Unterteilungen wirken schlüssig. Der natürliche Fluss des Ganzen wird so gewährleistet, ohne dass die Musiker in träges Gleichmaß verfielen. Und das Orchester entlockt dem Stück derart fein differenzierte Klangfarben, dass man sich einem Spezialensemble für Barockmusik gegenüber wähnt.
All dies würde aber nichts nützen ohne entsprechend versierte und stilsichere Sänger. Aber auch daran mangelt es in Hamburg nicht. Veronique Gens in der Partie der Alcina zeigte eine höchst überzeugende Leistung. Im ersten Akt klang sie zwar eher perfekt als ausdrucksvoll, aber vom zweiten Akt an änderte sich dies völlig. Da war jeder Ton stimmigst in den musikalischen Kontext des Werkes eingepasst, zudem rund und voll vorgetragen mit einer Professionalität, die man selten findet.
Angesichts eines derart überzeugenden Vortrags konnten die anderen Gesangssolisten dann doch nicht ganz mithalten, obwohl auch sie auf hohem Niveau agierten. Insbesondere die Frauenstimmen, allen voran die fabelhafte und ausstrahlungsstarke Antigone Papoulkas als Bradamante, bewiesen einmal mehr, dass eine gute Ensemble-Politik für jedes Haus Gold wert ist.
Schade nur, dass diese musikalisch so vorzügliche Produktion szenisch wenig bietet. Die Inszenierung von Christof Loy und seinem Bühnenbildner Herbert Murauer ist nämlich schlicht belanglos und stilistisch vollkommen unentschlossen geraten. Das Positivste, das sich über die szenische Seite der Produktion sagen lässt, ist, dass sie nur selten stört und das Ensemble halbwegs glaubwürdig auf der Bühne agieren lässt. Denn das Bühnenbild sagt weder über den Inhalt noch über dessen Deutung durch den Regisseur etwas aus. Der Bühnenraum erweckt anfänglich eher den Eindruck, als spiele die Handlung in einer klassizistischen Galerie. Dann aber erscheinen Figuren in historischen Gewändern und in modernen Militäruniformen. Merkwürdig, aber nicht geeignet, den exquisiten Musikgenuss wirklich zu stören.
nächste Aufführungen: 27. Februar sowie 2., 6., 13., 16., 22.und 26. März, 19 Uhr, Staatsoper
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