: Der Wessi klagt, der Ossi schimpft
Ostler und Westler verstehen sich nicht, behauptet der Kommunikationscoach Olaf Georg Klein. Die einen halten zu wenig Distanz, die anderen reden zu schnell. Bei einer Diskussion in der Böll-Stiftung werden Kleins Thesen prompt bestätigt
von FELIX LEE
Der Ossi ist aufdringlich, der Wessi verklemmt. So denken Ost- und Westdeutsche übereinander. Wo die Gründe liegen, das war bisher aber nicht bekannt. Nun wurde das Geheimnis gelüftet. Es liegt an der Gesprächsdistanz. Denn während der Ossi in einem Gespräch zwischen ihm und seinem Gegenüber 10 bis 30 Zentimeter Abstand hält, ist der Wessi stets darauf bedacht, eine Distanz von mindestens 50 Zentimetern einzuhalten.
Und noch ein Beispiel: Der Ossi fühlt sich überrumpelt, wenn der Wessi anfängt zu reden. Der Grund: Wessis lassen zwischen zwei Themen viel weniger Übergangspausen. Das geht dem Ossi zu schnell und überhaupt kann er die direkte Art des Wessis nicht leiden. Wird der Ossi dann aber gefragt, windet er sich lieber um ein klares „Nein“ und setzt auf den verbalen Konsens („Lieber wäre mir …“). Das treibt den Wessi wiederum zur Weißglut.
Über solche und ähnliche Geschichten lassen sich zig Bücher schreiben. Einer hat es auch getan: Olaf Georg Klein. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung war der „Ossi-Autor“ am Montagabend zu Gast in den Hackeschen Höfen und diskutierte mit Radiomoderatoren und Schriftstellern aus Ost und West über seine These: Zwölf Jahre deutsche Einheit – und die Menschen zwischen Ost und West verstehen sich nicht.
„Auch wenn wir die gleichen Vokabeln verwenden, gibt es in Ost und West zwei grundsätzlich unterschiedliche Kommunikationsformen“, sagt Klein, der neben seiner Autorentätigkeit als Coach beruflich auch Kommunikationsprobleme löst. Ost-West-Gespräche würden „gravierende Verständigungsfallen bergen, die zu Fehlinterpretationen führen“. Die Folge: „Westler klagen, dass Ostler ständig blockieren, der Ostler schimpft über den arroganten und karriereorientierten Westler.“
Gewagte These, die auf dem Podium aber gleich ihre Bestätigung fand. Jürgen Kuttner, ostdeutscher Kultmoderator von Radio Fritz, gab die Schuld der „Chefmentalität der Wessis“. „Die sitzen im Osten ja auch in allen Führungsetagen“. West-Radiomoderator Volker Wieprecht widersprach und meinte, Ostdeutsche hätten keinen Ehrgeiz. Ihm sei es nur selten gelungen, ostdeutsche Mitarbeiter anzuspornen. Kuttner wiederum sprach von der „Asozialität“ im Osten, auf die der Ostler ja auch stolz sein könne. Ohnehin habe er die Nase voll von den ständigen Appellen, die Gräben zwischen Ost und West müssten endlich zugeschüttet werden.
Der Ostler bleibt also borniert, weltfremd und kommt nicht aus sich heraus, der Westler wiederum ist dominant und denkt nur an sich selbst. Doch zum Glück gibt es Kommunikationscoach Klein. Den Wessis rät er: Gönnen Sie dem Ostler ein bis zwei Sekunden Denkpause. Sein Tipp für Ossis: Reden Sie einfach los, auch wenn es keine Pausen gibt.
Zudem finden sich auch Gemeinsamkeiten in Ost und West. Darauf verwies zumindest eine Zuschauerin: „Männer, die den Frauen versuchen, die Welt zu erklären – die haben wir überall.“
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