american pie
: Utah Jazz – der Club der alten Männer

Augen zu zur Landung

Selten wohl war ein Aufenthalt im Exil so aufbauend. Vertrieben aus dem heimischen Delta Center, das während Olympia vom IOC gar in Salt Lake Ice Center umbenannt wurde, begaben sich die Utah Jazz auf eine zweiwöchige Reise durch fremde Hallen. Begonnen hatte man die Odyssee als mittelmäßige Mannschaft, die ungefähr so viele Spiele gewinnt wie verliert. Zurück kehrt man als einziger Gewinner der Olympischen Spiele, der nicht in Utah siegte. Nach zuletzt sechs Auswärtssiegen am Stück ist man das heißeste Team der NBA.

Vorhergesehen hatten die Experten eher die gegenteilige Entwicklung. Als der frisch verpflichtete Center John Amaechi im vergangenen Herbst im Trainingscamp der Basketball-Profis aus der Mormonen-Stadt auftauchte, musste er erstaunt feststellen, dass er mit 31 Jahren noch „einer der Jüngsten“ war. Allgemein wurde erwartet, dass die überalterten Jazz, im vergangenen Jahr in der ersten Play-off-Runde von den jugendlichen Dallas Mavericks aus dem Wettbewerb befördert, im Laufe der anstrengenden, 82 Spiele dauernden Saison dem Greisenalter ihrer Stars Karl Malone und John Stockton Tribut zollen müssten.

Doch statt Amaechi, der bislang enttäuschte, punkten weiter die alten Herren für Utah. Point Guard Stockton, der kommenden Monat seinen 40.Geburtstag feiert, spielt zwar nicht mehr so viele Minuten wie früher, wird aber demnächst seinen 15.000sten Assist gesammelt haben – ein Rekord für die Ewigkeit. Vor allem Power Forward Malone aber scheint trotz seiner 38 Jahre so gut wie zu seinen besten Zeiten. Mit frisch rasierter Glatze erzielte er in der vergangenen Woche, als die Jazz vier Siege einfuhren, durchschnittlich 27,5 Punkte, 12,3 Rebounds und 6,3 Assists, und wurde prompt zum Spieler der Woche gekürt. Kurz zuvor hatte er sich eine Pause gegönnt und das All-Star-Spiel aus „familiären Gründen“ abgesagt. „Seitdem habe ich jede Menge Energie“, freut sich der Lkw-Sammler Malone, „ich komme langsam in einen netten Rhythmus“. Außerdem spiele er, so sein Trainer Jerry Sloan, „die beste Defense in seiner Karriere“.

Der Umschwung war möglich geworden, weil man in Salt Lake City wie gewohnt auf eine konservative Klubpolitik setzte. Anstatt wie andere Teams kurz vor der gerade abgelaufenen Trade-Deadline hektisch Spieler zu tauschen, vertraute man bei den Jazz darauf, dass sich das vorhandene Personal finden werde. Und tatsächlich kommen die Jazz neuerdings sehr viel besser mit der Zonen-Verteidigung zurecht. Die war vor dieser Saison in der NBA erstmals seit Jahren wieder erlaubt worden und ist ein veritables Mittel gegen das Pick & Roll, den seit Jahrzehnten bevorzugten Spielzug der Jazz. Malone und Stockton haben das „Block und Abrollen“ so perfektioniert, dass sie bereits zu aktiven Zeiten in die NBA-Geschichte eingingen – als zweiköpfiges Monster „Stockalone“.

Waffen-Narr Malone hat unlängst die „Karl Malone Youth Conservation Initiative“ ins Leben gerufen. Sie soll Kindern den von Malone manisch betriebenen Jagdsport näher bringen. Eine andere Jugendbewegung hat Coach Sloan gestartet. Der ist zwar bereits im 14. Jahr Trainer der Jazz und plant gerüchtehalber seinen Rücktritt nach der Saison, aber hat um die Veteranen herum erfolgreich eine junge Mannschaft gebaut. Die unerfahrenen Andrei Kirilenko, DeShawn Stevenson und Jarron Collins spielen immer besser, müssen aber, so Sloan, noch lernen, dass „Basketball nicht nur darin besteht, den Ball zu dunken“. Zuletzt aber konnte dafür der lange verletzte Byron Russell, geschicktester Verteidiger im Team, wieder reaktiviert werden, demnächst soll auch Donyell Marshall wieder dabei sein.

Zurück aus der Diaspora, gehört Salt Lake City nun wieder den Jazz, die beste Aussichten haben, sich zum 19. Mal in Folge für die Play-offs zu qualifizieren trotz eines Kaders voller alter, müder Männer. „Wir machen einfach die Augen zu“, sagt Sloan, „und sehen, wo wir landen.“ THOMAS WINKLER