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Das Genie der Abschaffung

■ Eine brilliante Reihe von Konzerten zu John Cages zehntem Todestag

Helmut Lachenmann schrieb 1992 zum Tode von John Cage folgendes: „Dankbarkeit gegenüber einem großen provozierenden Geist und beispielgebenden Praktiker radikaler Befreitheit, kreative Ehrfurcht weckend, weil dieser – John Cage – selbst voll kreativer Ehrfurcht war gegenüber Kreatur und Kreativität: darüber reden, müsste heißen: reden über die Vielfalt der Formen, in denen er uns so wunderbar gestört und so lehrreich verstört hat. Sein Erscheinen in Europa hat seinerzeit Turbulenzen ausgelöst, auch in mir. Auf der naiven Suche nach Ordnungen empfand ich sein Wirken als Bedrohung und erkannte es spät erst als entscheidende Bewegung ...“ .

Besser kann man den Reichtum der Konzerte anlässlich der Ausstellung der Werke von Mark Tobey, Morris Graves, Merce Cunningham und John Cage selbst kaum umreißen, als der deutsche Komponist Lachenmann es hier tut. Eine Reihe von Veranstaltern – die Philharmonische Gesellschaft, das Philharmonische Staatsorchester, die Glocke, die Hochschule für Künste, die projektgruppe neue musik und die Kunsthalle – hatten sich zusammengetan und ein veritables Cage-Festival auf die Reihe gekriegt, das sich sehen und hören lassen konnte. Deutlich wurde auf vielen Ebenen und in vielen Aspekten, dass Cages Werke, die man wegen ihres provozierenden Nachdenkens über Musik eigentlich kaum so nennen kann, so vielschichtig sind wie die außermusikalischen Phänomene, auf die sie reagieren und die sie umgekehrt auslösen: „Das Genie der Abschaffung“, sagte der Musiktheoretiker Heinz Klaus Metzger.

Da sind zum Beispiel die „Sixteen Dances“ aus dem Jahr 1950, noch eine genau erstellte Partitur. Dass dieses Stück von einem Ensemble des Atelier für Neue Musik an der Hochschule für Künste mit einem so großen fragilen Zauber übermittelt werden konnte, war eins der herausragenden Momente in diesem Aufführungszyklus. Dabei profilierte sich der Oboist Christian Hommel einmal mehr als hochsensibler Koordinator immer überraschender Klänge.

Das zweite Konzert der Hochschule für Künste fand im Dom statt: mit Werken von Cage und Erik Satie ein regelrechtes Anti-Konzert. Bei ASLSP (1985-87)) verlangte Cage: So langsam wie möglich. Was bedeutet das bei einem Klavierton, der verklingt und bei einem Orgelton, der theoretisch immer haltbar ist? Der Pianist Jens Peter Enk und der Organist Markus Manderscheid zauberten nie Gehörtes in den Dom, was bestens ergänzt wurde durch die so seltsame „Messe de pauvres“ für Orgel von Erik Satie, die in ihren simplen harmonischen Rückungen und falschen grammatikalischen Titeln sich jeder Einordnung entzieht: „Es geht nicht darum, ob Cage relevant sei, er ist unabdingbar“, sagte John Cage.

Eine weitere Ehrung erfuhr Erik Satie mit der Wiedergabe der „Vexations“ (Quälereien oder Schikanen): 840 mal sollen die paar Takte gespielt werden, so geschehen in 19 Stunden (!) Aufführungsdauer durch 50 Bremer PianistInnen. Eine Zuhörerin war die ganze Zeit da und wollte eine existentielle Erfahrung machen: hat sie mit Sicherheit bekommen.

Mit der „Water Music“ von 1952 beginnt eine Reihe von optischen, auch musiktheatralischen Stücken: ein Pianist plätschert nach einem minutiös einzuhaltenden Zeitmaß und betätigt Pfeifen und Quirle. Die „Water Music“ erfuhr eine zauberhaft poetische Wiedergabe durch die Pianistin Gabriele Wulf, die zusammen mit der Sängerin und wunderbar exzentrischen Performancekünstlerin Christina Ascher in der Glocke einen kurzweiligen Abend gestaltete, deren Höhepunkt die stimmstarke Wiedergabe der berühmten „Aria“ war. Präsentierte sich der Cage von Christina Ascher und Gabriele Wulf geradezu verspielt und lieblich – was richtig ist – entschied sich die Improvisationsgruppe x-Pol-Batterie zu asketischer Strenge – was auch richtig ist. In der Partitur von „Variations I“ (1958) werden fünf Pergamente – mit Strichen und mit Punkten – übereinandergelegt und so Abstände, Tonhöhen, Rhythmen gestaltet. Die Radikalität und Kargheit, mit der x-Pol-Batterie diese Aufgabe in Angriff nahm, war beeindruckend.

Und dann das Philharmonische Staatsorchester: Etwas dröge kamen „Cheap Imitation“ (1977) und das frühe „Konzert für präpariertes Klavier und Orchester“ daher. Trotzdem war es ganz einfach toll, dass das traditionsreiche Orchester mitgemacht hat und mit dem Dirigenten Johannes Kalitzke und dem Pianisten Bernhard Wambach erfahrene Spezialisten der Cage schen Ästhetik engagieren konnte. Die Philharmonische Gesellschaft ging mit der „Nacht der Klaviere“ einen anderen Weg: Nachdem Siegfried Mauser und Alfons Kontarsky Claude Debussys „En blan et noir“ und Olivier Messiaens „Visions de l Amen“ eher buchstabiert als mit Kraft und Inspiration interpretiert haben, beeindruckte das Duo Mrongovius/Uriarte mit der Klavierfassung von Maurice Ravels „Bolero“: Initialzündung für fünf Stunden Klaviermusik und weitere Werke für bis zu sechs Klaviere (Six Pianos von Steve Reich).

In diesem Sinne waren die Konzerte – auch fast alle gut besucht – überreich. Cage: „Ich muss einen Weg finden, die Leute freizusetzen, ohne dass sie albern werden. Solchermaßen, dass ihre Freiheit sie adelt. Wie ich das schaffe? Das ist hier die Frage“. Weitere Antworten gibt es im zweiten Cage-Festival, das die Hochschule für Künste vom 7. bis zum 14. April ausrichtet.

Ute Schalz-Laurenze

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