Thilo Sarrazin will klagen

Im taz-Interview bezeichnet der Finanzsenator eine Klage in Karlsruhe als unvermeidlich für Bundeshilfe beim Schuldenabbau. Im öffentlichen Dienst erwartet er „freiwillige Lohnverzichte“

von ROBIN ALEXANDER
und RICHARD ROTHER

Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) plant eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, um Bundeshilfen für den Abbau der Berliner Schulden zu bekommen.

Sarrazin sagt im taz-Interview: „Der Bund wird sich nur auf der Basis von eindeutigen Rechtspflichten in solche Zahlungen begeben. Der Fall Berlin ist als solcher aber beispiellos. Deshalb wird es am Ende auf eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht herauslaufen.“ Der Zeitpunkt für eine Klage sei aber erst gekommen, wenn Berlin „eigene Konsolidierungserfolge“ nachweisen könne und der „Verhandlungsweg“ ausgeschöpft sei.

Für den anstehenden Doppelhaushalt kündigt Sarrazin „ehrliche Zahlen“ an: „In diesem Jahr wird es im Unterschied zu allen anderen Haushalten der vergangenen Jahre keine erkennbaren Unterveranschlagungen bei den Ausgaben oder Überveranschlagungen bei den Einnahmen geben. Bisher wurden ja immer Annahmen geschönt, um Löcher im Haushalt zu schließen.“ Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes fordert Sarrazin zum Verzicht auf Teile ihres Lohnes auf: „Wir brauchen jetzt freiwillige Lohnverzichte. Denn alles, was wir ohne Lohnverzichte oder Kündigungen bei den Personalkosten erreichen konnten, haben wir schon rausgeholt“.

Den Defiziten der Bankgesellschaft, die den Landeshaushalt in Milliardenhöhe belasten, resultieren nach Meinung des Finanzsenators nicht primär aus kriminellem Verhalten: „Der Anteil der Betrugsabsicht und des bewussten Handels zum Schaden Dritter ist nach meiner Überzeugung beim Komplex Bankgesellschaft klein.“ Die Vernichtung von Milliarden Steuergeldern durch die Bankgesellschaft vergleicht Sarrazin mit den Verlusten bei DaimlerCrysler und kommentiert: „So ist das Geschäftsleben“.

In ungewöhnlich deutlichen Worten äußert sich Sarrazin in über die „Berliner Grundmentalität“. In dieser Stadt werden laut Sarrazin „Hausaufgaben nicht ordentlich kontrolliert“, die Taxis machen sich keine Konkurrenz, die Verwaltung hat lange Wartezeiten und das Bauwesen niedrige Qualitätsstandards. Im Interview kritisiert der vor wenigen Jahren aus Rheinland-Pfalz zugewanderte Senator sogar die mangelhafte Sauberkeit seines eigenen Büros in der Finanzverwaltung. Über das Outfit der Berliner meint Sarrazin: „Nirgendwo sieht man so viele Menschen, die öffentlich in Trainingsanzügen herumschlurfen wie in Berlin.“All dies resultiere letztlich aus der Teilung der Stadt: „Westberlin hat über die langen Jahrzehnte der Teilung seine Leistungsorientierung etwas aus den Augen verloren.“ Erst mit kommenden Generationen sei in Sachen „Grundmentalität“ mit einem Wandel zu rechnen.

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